„Man muss auch wirklich Spaß haben am Wetter“ – Ein Gespräch mit dem Meteorologen Jürgen Schmidt

Eisiger Schneesturm oder plötzliches Frühlingserwachen: Kommt es zu sehr markanten Witterungen, stehen die Telefone bei den Wetterdiensten nicht mehr still. Doch auch außerhalb der Extreme ist die Disziplin gefragt. Ob im Alltag, als Infotainment oder als Dienstleister der Wirtschaft: ohne Wetterbericht läuft nichts. Ein Gespräch mit Jürgen Schmidt – Geschäftsführer von „WetterKontor“, einem der führenden privaten Dienste in Deutschland – über Meteorologie und Medien, die Tücken des Prognostizierens, warum die Winter auch mal wieder kälter werden könnten und zur vielleicht wichtigsten aller Fragen: Bleibt der Frühling?

Meteorologe Jürgen Schmidt ist seit 2008 Geschäftsführer des Wetterdienstes WetterKontor GmbH mit Sitz in Ingelheim am Rhein. Der Dienst stellt seine allgemeinen und spezifischen Prognosen quer durch die deutsche Medienlandschaft sowie für Unternehmen und Versorgungsbetriebe bereit. Hinzu kommen typische Sonderleistungen eines privaten Wetterdienstes, wie sie heute in branchenspezifischen Beratungen und Präsentationen bzw. rund um das Thema Multimedia bestehen. Bild: Privat/WetterKontor/Montage Sozialtheoristen.

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Amnestieboxen

Wenn aus einer Lösung ein Problem gemacht wird

Die Empörung könnte kaum größer sein. Da lässt der Kommandant der Spezialkräfteeinheit einer Armee Container aufstellen, in denen anonym Munition und Sprengstoff entsorgt werden können, die von Soldaten rechtswidrig gehortet worden sind. Es wird suggeriert, dass rechtsextrem orientierte Soldaten Waffen und Munition aus Bundeswehrbeständen in ihren Gärten verstecken, um einen Aufstand vorzubereiten, und dass die Führung diesen Soldaten Straffreiheit zusichert, wenn sie nur so nett wären, diese wieder zurückzugeben.

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Die Blinden Flecke einer prozesssoziologischen Gewaltforschung

Der aktuelle Turn in der Gewaltforschung besteht in der Ausrufung einer Prozessperspektive. Die Klage ist, dass die Zeitdimension bisher unterschätzt wurde und deswegen die Entwicklung einer prozessualistischen Alternative notwendig wäre. Die Promotoren dieses Ansatzes – Thomas Hoebel und Wolfgang Knöbl – sprechen selbst von einer neuen „Heuristik“, aber es ist unverkennbar, dass es um einen neuen Turn geht. Während die beiden Prozesssoziologen sich in der Einleitung ihres als Plädoyer für eine neue Gewaltforschung angelegten Buches noch auffällig bescheiden präsentieren – es ist die Rede davon, dass der Ansatz nicht beanspruche, „die Lösung explanatorischer Probleme in der aktuellen Gewaltforschung“ zu sein oder „neue Theorien zur Analyse von Gewalt“ zu generieren (Hoebel und Knöbl 2019, S. 15) –, wird der Anspruch im Laufe der programmatischen Schrift immer höher getrieben.[1] Am Ende des Buches wird für Prozesse als eine neue Zentralkategorie der Gewaltforschung plädiert. Gar nicht mehr bescheiden ist dann die Rede davon, dass die „temporale Ordnung“ „den entscheidenden Ansatzpunkt“ darstellt, um Gewalt erklären zu können.[2] Eine prozessuale Perspektive hätte, so die Aussage, ein „inklusive[s] Potenzial“, um alle anderen Argumente „aufzunehmen und weiterzuentwickeln“ (Hoebel und Knöbl 2019, S. 199).[3] Im Folgenden sollen drei blinde Flecke dieses prozesssoziologischen Zugangs aufgezeigt werden. Weiterlesen →

Die Renaissance des Maschinenmodells

Die Vorstellung von einem Betriebssystem der Organisation

Aufschlussreich ist, dass die Holakraten ihr Organisationsmodell als ein „selbststeuerndes Betriebssystems“ für Organisationen beschreiben (Robertson 2015).[1] Es ginge – so die Suggestion der Software-Metapher – darum, ein System zu entwickeln, das die basalen Regeln des Zusammenspiels zwischen einzelnen Komponenten definiert. Ein Betriebssystem lege nicht fest, welche konkreten Programme darauf aufsetzen, beeinflusse aber maßgeblich deren Abläufe. Wenn es nicht gelinge ein funktionierendes Betriebssystem zu entwickeln, funktionierten – so die Implikation – alle Programme nur langsam, instabil und fehleranfällig (so die Darstellung bei Mitterer 2015). Doch was für ein Organisationsverständnis steckt hinter diesem Konzept eines selbststeuernden Betriebssystems? Weiterlesen →

Was ist das Besondere an der holakratischen Formalisierung? – Einblicke in neue Formen der Formalisierung in Organisationen

Während in klassischen Organisationen die Veränderung von formalen Strukturen durch den Neuzuschnitt von Abteilungen oder die Neudefinition von Prozessen häufig ein langwieriger Vorgang ist, befinden sich – so jedenfalls das Postulat der Vertreter:innen neuer Organisationsformen – die formalen Strukturen sogenannter holakratischer Organisationen in einem permanenten Veränderungsprozess. Purpose-driven und spannungsgeleitet können im sogenannten Governance Meeting je nach Umweltanforderung beispielsweise neue Kreise gebildet oder Rollen durch das Ergänzen oder Entfernen von Zuständigkeiten modifiziert werden. So entsteht eine formale Ordnung, die sich, um es salopp auszudrücken, in einem permanenten Fluss befindet und von allen Organisationsmitgliedern stetig mitverfolgt werden kann.

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Formalisierung als Erfolgsrezept

Wie durch Bürokratisierung versucht wird, die Ausbildung von Abteilungen und Hierarchien zu verhindern

Die Kritik am klassischen bürokratischen Organisationsmodell ist im Wesentlichen durch drei Stoßrichtungen gekennzeichnet: Erstens wird kritisiert, dass sich Abteilungen voneinander abschotten und deswegen jede Abteilung nur ihrer eigenen Logik folge. Weil die Mitarbeiter in der Regel nur Mitglied einer Abteilung sind, würde ihre Perspektive durch die Ausrichtung der Abteilung geprägt und so bilde sich eine stark verengte Sichtweise aus. Zweitens wird herausgestellt, dass die hierarchische Grundstruktur zu Informations- und Motivationsverlusten führe. Mitarbeiter weiter unten in der hierarchischen Pyramide bekämen nicht die nötigen Informationen, um die Sinnhaftigkeit ihrer Aufgaben zu erfassen und diese in der nötigen Sorgfalt durchzuführen. Drittens wird kritisiert, dass Organisationen an einer bürokratischen Überregulierung zu ersticken drohen. Um die Arbeit zwischen den Abteilungen zu koordinieren und die Kontrolle durch die Hierarchie zu gewährleisten, würde eine Vielzahl von Verhaltenserwartungen an die Mitarbeiter gestellt, die häufig nicht den Anforderungen der Organisation entsprechen (siehe für einen soziologisch informierten Überblick zu diesen Kritikpunkten Heydebrand 1989).

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Zu den Abgrenzungsfolien einer prozesssoziologischen Gewaltforschung

Dieser Text ist eine Reaktion auf den Beitrag „Gewalt erklären?“ auf sozialtheoristen.de von Thomas Hoebel und Wolfgang Knöbl  https://sozialtheoristen.de/2021/01/18/gewalt-erklaeren/ und weitergehend auf das Buch „Gewalt erklären! Plädoyer für eine entdeckende Prozesssoziologie“ (Hamburg: Hamburger Edition, 2020). Es ist ein erster Aufschlag für eine Diskussion, die wir in den nächsten Monaten auf sozialtheoristen.de führen wollen. Kolleginnen und Kollegen sind herzlich eingeladen sich nicht nur mit Kommentaren zu beteiligen, sondern auch eigene Beiträge auf sozialtheoristen.de beizusteuern. Bei der Publikation eines Textes auf sozialtheoristen.de helfen gerne Thomas Hoebel (thomas.hoebel@his-online.de) oder Stefan Kühl (stefan.kuehl@uni-bielefeld.de), bei technischen Fragen des Hochladens Alexandra Boldys (sekretariat.kuehl@uni-bielefeld.de).

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Gewalt erklären?

 

VorbemerkungDer hier wiederabgedruckte Text ist ein Auszug aus dem Buch Gewalt erklären! Plädoyer für eine entdeckende Prozesssoziologie von Thomas Hoebel und Wolfgang Knöbl, 2019 erschienen in der Hamburger Edition. Es handelt sich um Teile der Einführung, außerdem hängt unten ein PDF des fünften Kapitels Temporalität und Timing. Grundzüge prozessualen Erklärens von Gewalt an. (Wir danken dem Verlag Hamburger Edition für die freundliche Genehmigung.) Zusammen mit der Kritik von Stefan Kühl soll die Veröffentlichung bei den Sozialtheoristen ein Gespräch fortsetzen, das im Wintersemester 2020/21 in einem Forschungskolloquium an der Universität Bielefeld begonnen hat, und herzlich dazu einladen, mit in die Diskussion einzusteigen. Wer sich nicht nur mithilfe der Kommentarfunktion, sondern mit einem eigenen Beitrag beteiligen möchte, kann sich dafür sehr gerne an Stefan Kühl oder Thomas Hoebel wenden.

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Zum Hype um den Purpose. Weswegen Distanz der Mitglieder zur Organisation hilfreich sein kann

Immer mehr Unternehmen gehen dazu über, ihre Mitarbeiter nicht mehr ausschließlich über finanzielle Anreize, Druck oder bestimmte geschickte Führungstechniken zu motivieren. Stattdessen werden Mitarbeiter angeregt, sich verstärkt mit „ihrem“ Unternehmen und mit „ihren“ Produkten zu identifizieren. Gerade die sogenannten Vorreiterunternehmen verkünden, dass „Geld allein nicht motiviert“, sondern ein gutes Arbeitsklima und eine Identifizierung der Mitarbeiter mit den Prozessen wichtig sind. Arbeitsaufgaben und Verantwortungsspielräume der Mitarbeiter werden so umfassend gestaltet, dass es diesen leicht fällt, sich mit den Zwecken der Organisation zu identifizieren. Sie sollen begreifen, dass es Spaß machen kann, in Selbstorganisation Qualitätswaagen herzustellen oder Fertigbackmischungen zu verkaufen.[1]

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Brauchbare Illegalität. Weswegen sich Regelabweichungen in Organisationen nicht vermeiden lassen

Regelabweichungen und Gesetzesbrüche in Organisationen werden im Allgemeinen als Problem betrachtet. Sie werden als „Verfehlung“, „Fehlverhalten“, „antisoziales Verhalten“, als „Sittenverfall“ oder gar als „Verbrechen“ bezeichnet. Gesprochen wird von den „schmutzigen Geschäften“ von Unternehmen, dem „falschen Handeln“ in Organisationen oder den „dunklen Seiten“ von Organisationen. Die Organisationen, in denen solche Regelabweichungen und Gesetzesbrüche exzessiv zu beobachten sind, werden als „unzivilisierte Organisation“ oder als „Schattenorganisationen“ bezeichnet.

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Der Prinz-von-Homburg-Effekt. Was man von Heinrich von Kleist über die Skandale bei Wirecard, VW und FIFA lernen kann

Wenn wieder einmal eine Organisation wegen eines Umweltverstoßes, Schmiergeldskandals oder einer Finanzmanipulation in der öffentlichen Kritik steht, lohnt sich ein Blick in das klassische Theaterstück des Dramatikers Heinrich von Kleist über die Befehlsverweigerung des Prinzen Friedrich von Homburg. Kleist, der selbst in seiner Jugend als Leutnant in der preußischen Armee gedient hatte, konfrontiert in diesem Theaterstück seinen Helden mit allen Tücken einer erfolgreichen Regelabweichung. Die Geschichte ist denkbar einfach. Der Prinz von Homburg dient als General der Reiterei in der Armee des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Vor der Schlacht gegen die schwedischen Truppen erteilt der Kurfürst seinen Generälen den Befehl, den Feind nur nach ausdrücklicher Anordnung anzugreifen – jeder solle, „wie immer auch die Schlacht sich wenden mag, vom Platz nicht, der ihm angewiesen, weichen“. Der oberste Befehlshaber der Armee verpflichtet die Organisation und all ihre Mitglieder auf strikte Gefolgschaft und Einhaltung der Befehlswege.

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Bilanzfälschung. Zur übersehenen Normalität des Falles Wirecard

Bilanzskandale beschädigen das Vertrauen in das Management von Unternehmen. Auch nur vage Andeutungen einer „Enronitis“ – die nach dem spektakulär gescheiterten US-Energiekonzern benannte Tendenz von Unternehmen, ihre Zahlen besser dazustellen, als sie wirklich sind – versetzen Börsenaufsicht, Wirtschaftsprüfer und Unternehmensmanagement in wilde Hektik.[1] Manager, die ihr Zahlenwerk zu sehr manipuliert haben, werden medienwirksam in Handschellen dem Untersuchungsrichter vorgeführt. Wirtschaftsprüfer geloben, Abbitte für ihre fehlende Aufmerksamkeit in der Vergangenheit zu leisten, und verschärfen ihre Qualitätssicherung. Die Börsenaufsicht erfindet eine Reihe neuer Regeln, um den verängstigten Kapitalanlegern zu signalisieren, dass man alles tut, um das Problem einer allzu fantasievollen Bilanzführung und -prüfung in den Griff zu bekommen.

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