Rezension zu: Sprenger, Reinhard K. (2015): Das anständige Unternehmen. Was richtige Führung ausmacht – und was sie weglässt. München: DVA

Arbeitswelt

Seit seinem Bestseller „Mythos Motivation“ schreibt Reinhard Sprenger immer wieder das gleiche Buch, aber das ganz hervorragend. Ob man nun seine Bücher „Radikal führen“, „Das Prinzip Selbstverantwortung“, „Die Entscheidung liegt bei Dir“, „Aufstand des Individuums“ oder das gerade erschienene Werk „Das anständige Unternehmen“ nimmt – das Argument ist immer das gleiche. Die Unternehmen sollten aufhören, ihre Mitarbeiter zu infantilisieren, zu therapieren und zu vereinnahmen, sodass die Mitarbeiter selbst Verantwortung übernehmen könnten. Das würde viel eher zum Erfolg des Unternehmens beitragen als die vielen übergriffigen aktuellen Führungstechniken und Personalentwicklungsmaßnahmen. Er richtet sich damit gegen die Gutmensch-Prosa in den Leitbildern von Unternehmen, die häufig an religiöse Großveranstaltungen erinnernden salbungsvollen Managementansprachen oder die Maßnahmen zur Corporate Social Responsibility, die letztlich häufig nichts anderes seien als ein luxurierendes Wohltätigkeits-Schaulaufen (S. 359).

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Unverstandene Union: Über unlösbare Organisationsprobleme eines politischen Dachverbands

14473724517_20f621d512_kEin Ausfall der Übersetzungsanlage ist hier wohl noch das geringste Problem: Sitzung des Straßburger EU-Parlaments. Bild/Rechte: Europäische Union.

Die „Brexit“-Debatte beschäftigt die Medien. Was dem Austrittsbegehren der Briten folgt, ist ein reger Wettbewerb um Reformideen zur Struktur der EU.1 Die Stärke dieser Reaktionen liegt in ihrer leicht zugänglichen, sehr emotionalisierten Betrachtungsweise. Folglich liegt ihre Schwäche zugleich darin, dass spezifische Voraussetzungen und Bedingungen der Organisation EU als Organisation nur rudimentär und normativ in Augenschein genommen werden. Eine dagegen womöglich instruktivere Problembeschreibung bietet der Ansatz der „Meta-organizations“ der schwedischen Organisations- und Wirtschaftswissenschaftler Göran Ahrne und Nils Brunsson2, dessen Relevanz ich zunächst punktuell skizzieren werde und anschließend auf zwei umfangreiche Organisationsprobleme der EU eingehe.

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Die Funktionalität von Unsicherheit im Austrittsverfahren der EU – oder: Warum Artikel 50 tatsächlich „wunderbar formuliert“ ist.

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„Der Artikel 50 ist so wunderbar formuliert, wie ihn Europa überhaupt nur formulieren kann“ (zitiert nach Brössler/Kirchner 2016) ließ Angela Merkel am Ende des zweiten Tages des Treffens des Europäischen Rates nach dem so genannten ‚Brexit‘ verlauten. Diese Aussage mag etwas überraschen, denn seit dem britischen Referendum kreisen die Diskussionen um die Folgen für die Europäische Union (EU) vor allem um zwei Fragen: Wann reicht die Regierung Großbritanniens ihr Austrittsgesuch bei der EU ein und was passiert in den darauf folgenden Austrittsverhandlungen eigentlich genau?

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Nicht einfach „Verorganisierung“. Doppelte Landnahme!

Kritische Anfragen an Stefan Kühls Essay zur Entwicklung des Islamismus

Die These der „Verorganisierung“ des Islamismus ist auf den ersten Blick evident. Im Anschluss an die soziologische Bewegungs- und Parteienforschung behauptet Stefan Kühl, dass die islamistische Bewegung „zunehmend“ formale Organisationen ausdifferenziert – auch wenn es eher typisch für Bewegungen sei, sich einer Organisiertheit ideologisch zu verweigern.[1] Er begründet die These mit vier funktionalen Argumenten, für die er sowohl zeitgeschichtliche als auch zeitgenössische Belege heranzieht. Weiterlesen →

Der Tellerrand der Organisationssoziologie? – Einige sozialpsychologische Anmerkungen zu Stefan Kühls IS-Analyse

Der Bielefelder Organisationssoziologe Stefan Kühl bringt in einem Essay über die Entwicklung des „Islamischen Staates“ (IS) die durchaus plausible These ins Spiel, dieser durchlaufe einen Prozess der „Verorganisierung“, im Zuge dessen er sich von einer sozialen Bewegung hin zu einer (staatlichen) Organisation entwickle oder bereits entwickelt habe. Dies allein wäre nicht weiter problematisch, wenn der Autor damit nicht eine gewagte Prognose verbinden würde: Nämlich jene, dass der IS damit nicht nur leichter zu bekämpfen ist, weil er nun eine „Adresse“ hat, sondern dass er dadurch auch für seine Mitglieder weniger attraktiv werden würde. Der sozialpsychologisch reflektierte Leser fragt sich: Woher weiß der Autor das?

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Die erste Adresse des Terrors – Anmerkungen zu Stefan Kühls These der „Verorganisierung“ dschihadistischer Bewegungen

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Stefan Kühls These, dass dschihadistische Bewegungen, die sich „verorganisieren“, verwundbarer werden, leuchtet auf den ersten Blick ein. Was aber geht verloren, wenn man sich einseitig auf Nebenfolgen der „Verorganisierung“ des IS konzentriert?[1]

Stefan Kühls These der „Verorganisierung“ von dschihadistischen Bewegungen zielt zuerst auf den Effekt der Adressierbarkeit. Der IS wird als Organisation wahrnehmbar; einerseits, weil er über ein Territorium herrscht und staatliche Funktionen erfüllt, andererseits, weil einst im Untergrund agierende Aktivisten sich nun zu einer Organisation bekennen oder in diese aufgenommen werden können, das heißt: Mitglieder werden. Der Terror, so die These, bekommt durch die „Verorganisierung“ eine Adresse. Der IS wird bekämpfbarer.

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Die „Verorganisierung“ des Islamismus

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Was man aus der Bewegungsforschung über den Islamischen Staat lernen kann

Die Selbstbezeichnung „Islamischer Staat“, die sich die Islamisten in Syrien und im Irak gegeben haben, prägt die aktuelle Diskussion. Der Fokus ist auf ein dschihadistisches Staatsbildungsprojekt gerichtet, dessen Werte auch für Islamisten aus anderen Teilen der Welt interessant zu sein scheinen und deswegen zu einer Radikalisierung von Islamisten außerhalb Syriens und des Irak führen. Bei der Diskussion über die Staatlichkeit des Dschihadismus wird jedoch ein Aspekt übersehen, der für die Bekämpfung des islamistischen Terrors in Europa zentraler ist: Die zunehmende „Verorganisierung“ der islamistischen Bewegung.

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FIFA – Die gescheiterte Legalisierung der Korruption

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Auch Experten der Sportbranche vergleichen die FIFA mit der Mafia. Die Rede ist von der „FIFA-Mafia“, die wie ein Krake die Geschäfte im internationalen Fußball beherrsche. Der langjährige Präsident der FIFA, Sepp Blatter, wird als „Don Blatterone“ bezeichnet, als Pate, der die Geldflüsse in der Organisation kontrolliert.[1] Sicherlich – Assoziationen mit der Mafia sind naheliegend, wenn gleich reihenweise FIFA-Funktionäre von der Polizei aus einem Zürcher Luxushotel abgeführt werden. Aber letztlich geht diese Beschreibung am Charakter der FIFA vorbei.

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Unter welchen Strukturbedingungen werden Geschlechterdifferenzen aktiviert?

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Über strukturschwache Interaktion in Organisationen und strukturstarke „Vollinklusion“ in „totalen Institutionen“

Über kaum ein anderes Thema gibt es so viele Begriffe und polemische Uneinsichtigkeiten wie über die formalen und informalen Ungleichheiten am Arbeitsplatz: Diversity, Gender-Gerechtigkeit und Frauenquote sind es aktuell. Es geht bei diesen Themen um gleiche Chancen bei gleicher(!) Qualifikation, nicht um Gleichheit oder Gleichmacherei. Das ist oft genug betont worden, und oft genug wird dann dennoch über solches eben Nicht-Gemeinte und auch Nicht-Intendierte geredet.

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Das Zusammenspiel von „Hard Law“ und „Soft Law“

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Sozial- und Rechtswissenschaftler diskutieren in Minneapolis über die vielfältigen Eigenrechte sozialer Ordnungen

Im Unterschied zur klassischen Rechtswissenschaft diskutiert die Rechtssoziologie nicht nur Rechtsthemen im engerern Sinne als „Hard Law“. Es geht nicht nur um die Profession des Richters, die Rolle des Schöffen oder der Jury, neue und alte Gesetzeslücken oder die Akzeptanz von Verfahrensentscheidungen. Auf dem Jahreskongress der „Law & Society Association“ (LSA), der im Juni in Minneapolis (USA) tagte, fand vielmehr ein Austausch über Rechtsthemen in einem breiten, nicht-juristischen Sinne als „Soft Law“ statt.

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Wie geht man mit Informationsungleichheiten zwischen Mensch und Maschine um?

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In der Praxis nicht ganz einfach: Aber wer den Einsatz von Algorithmen eingrenzen will, sollte zuerst seine organisatorischen Grenzstellen kennen

In ihrem Artikel „Risiken des Hochfrequenzhandels (HFT) – Das systemische Risiko der Dummheit“ beschreibt Yvonne Hofstetter, Geschäftsführerin der Teramark Technologies GmbH, den Einsatz von Handelsalgorithmen an computerbasierten Finanzbörsen. Frau Hofstetter ist eine ausgewiesene Kennerin im Einsatz von „intelligenten Datenauswertungssystemen für kommerzielle Unternehmen sowie für die Rüstungsindustrie“. Das kritische Einbringen ihrer Expertise in die öffentliche Diskussion verdient Beachtung, denn viele ihrer KollegInnen aus den digitalen Branchen hüllen sich im Schweigen. In ihrem neuesten Artikel in der F.A.Z. vom 15. Oktober 2013 plädiert sie beispielsweise für einen differenzierteren Blick auf die Möglichkeiten zur „Kontrolle“ von Algorithmen an elektronischen Finanzbörsen.

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Das Eigenrecht der Hauptversammlung

Ein Vergleich zwischen der Nutzung von Stimmrechten und anderen Einflussmitteln

Kommunikation beginnt beim Verstehen. Es kann dabei nicht um richtiges Verstehen gehen, denn selbst einfach mal Klartext zu reden, bleibt eine psychische Utopie. Sie kann nur sozial, also kommunikativ fingiert werden. Der Anspruch authentischer Kommunikation konfrontiert nicht nur Autor und Publikum mit kognitiven Grenzen, sondern auch die Motive und Gedanken hinter der Mitteilung oder hinter dem Verstehen können nicht restlos geklärt werden.[1] Und wenn so zwangsläufig der Selbstinszenierungs- oder Manipulationsverdacht bei jeder Kommunikation mitläuft, machen sich Einzelne verdächtig, damit beeindrucken zu wollen, dass sie nun aber doch meinten, was sie sagten. Ein paradoxer Effekt: Wer sich also um Klartext bemühen muss, der hat anscheinend andere Gründe zu verbergen.[2] Diesmal mag sich das Eigenrecht der Situation danach zu Gunsten Herrn Seehofers wenden.[3] Es hätte jedoch auch ganz anders ausgehen können. Die nächsten Nachbemerkungen werden nicht mehr so leicht politisch ummünzbar sein, denn Wiederholungen sind selten noch authentisch.

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