Werber, I am talking to you!

Martin Oetting hält einen Marketingvortrag vor 150 Werbern von Scholz and Friends. Er freut sich, dass sein Vortrag Aufmerksamkeit erregt hat, doch unter all den Gratulanten findet sich meine kleine Kritik, die bei ihm nicht gut ankam. Immerhin habe ich seinen „Paradigmenwechsel“ (den er sich argumentativ aus einem Buch lieh, dass er noch gar nicht gelesen hat) zum Strukturwandel degradiert. Sein Reaktionstext auf meine Kritik fällt entsprechend uneinsichtig aus. Statt sich auf meine Argumente einzulassen, meint er, er arbeitet in einer anderen intellektuellen Sphäre, redete zudem zu Praktikern und außerdem sei das in seiner Welt schon alles so, wie er es im Vortrag bereits erzählte – man müsse zuhören, dann würde sich die Plausibilität seines Weltentwurfes schon ergeben.

An dieser Stelle muss ein weiteres Kontra meinerseits gestattet sein. Und zwar im Modus: Yes, I am talking to you! (Ich frage mich ja, wie jemand, der die ganze Zeit von der kommunikativen Weltverflechtung per Internet predigt, auf die Idee kommen kann, beim Widerspruch zu behaupten „Ich freue mich, dass ihr mir alle zuhören könnt und zuhört, aber eigentlich rede ich gar nicht mit dir.“

Also, an dieser Stelle adressiere ich alle Martin Oettings dieser Welt. Menschen, die in Werbeagenturen arbeiten, Strategien entwickeln, Buzzwords erfinden und Vorträge halten, die nicht lehrreich, sondern unterhaltend sein sollen.

Ich frage euch: Wenn ihr Marketing macht und ihr holt euch jemanden ins Haus, der euch noch mehr über Marketing erzählt und der sagt dann Folgendes:

Die Unterscheidung zwischen dem Filtern der Realität und dem Konstruieren der Realität, die Schulz dann als Alternativvorschlag anbietet, ist sicherlich interessant. Nur wiederum für das anwesende Publikum komplett irrelevant.

Werdet ihr dann stutzig? Solltet ihr euch nicht Vorträge von Menschen anhören, die euch davon erzählen, wie ihr durch Marketing eine Welt erschafft, die es vor eurem Einsatz noch nicht gab. Geht es nicht gerade darum, eine Welt zu kreieren, in der Menschen lernen, Bedürfnisse zu haben, die sie aus natürlichen Gründen nicht haben? Wäre es nicht interessant, einen Vortrag zu hören, in dem davon erzählt wird, wie durch Marketing eine Welt erschaffen wird, in der Menschen Handlungsempfehlungen suggeriert werden, ohne dass sie erkennen wie? Ist Marketing nicht das Werkzeug, das Menschen ohne Ahnung und Geschmack mit Vorlieben und Wünschen ausstattet? Wenn jemand eine Welt kreiert, dann sind das doch die Werber! Martin Oetting findet, für euch sei ein derartiger Gedankengang „komplett irrelevant“.

Martin Oetting meinte in seinem Vortrag, Werber müssten sich jetzt unter ihr Publikum mischen, im Internet dabei sein, die Wirkung der Kampagnen in Echtzeit verfolgen. Der alte Werberhabitus, in dicken Autos durch das Land zu fahren und Megakampagnen zu launchen gehe nicht mehr auf. Ich bin dagegen der Meinung gewesen, Werber mussten sich schon immer ein Bild ihres Publikums machen, Zielgruppen statistisch ermitteln, Strategiealternativen testend vergleichen, Wirkungen planen und dann auch kontrollieren. Das Internet verändert Strategie- und Kontrollmöglichkeiten, die Prinzipien bleiben aber ähnlich. Martin Oetting meint:

Das ist leider eine fundamentale Fehleinschätzung seinerseits, denn ich habe wieder nicht von einer (objektiven?) Wahrheit gesprochen, sondern allein von der Geisteshaltung der Leute, die mir gegenübersaßen.

Werber, ist das wirklich eure Geisteshaltung? Seid ihr vom Internet wirklich so überrascht, dass ihr gerade planlos herumirrt und Menschen wie Martin Oetting als Kompass benötigt, weil er ein Doktor der stillen Post ist? Oder wo liegt hier die „fundamentale Fehleinschätzung“?

Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen: Das Internet provoziert einige Paradigmenwechsel: Die Medizin profitiert von der Raumungebundenheit bei Gleichzeitigkeit durch zentralisiertes Spezialistentum; Familien können nun über Distanz wirklich interagieren, weil das Internet Bildtelefonie bereit hält und so Wahrnehmung (mitteilungsfreie Information) trotz  Abwesenheit in der Kommunikation ermöglicht; Die Börse entkoppelte Intention und Zahlung; Die Wissenschaft befreit sich hoffentlich bald von den wirtschaftlichen Zwängen des Publikationswesens; usw.

Aber: Dass Menschen jetzt ihre Meinung über Produkte unadressiert ins Internet schreiben und so Informationen schaffen, die zum Lernen für andere Kunden und zum Manipulieren für Marketingspezialisten zur Verfügung steht – dass ist doch kein neues Paradigma, das ist einfach nur neu.

Werber machen zwei Dinge: Sie versorgen Kunden mit Geschmack und Produzenten mit dem (qualitativen) Wissen über ihren Absatz – beides schön verpackt in einer Marketingstrategie. Das hat sich die letzten 40 Jahre nicht prinzipiell verändert – Internet hin oder her.

(Bild: Scholz and Friends, das übernehmen geht hoffentlich klar.)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

10 Kommentare

  1. […] seine Zwecke (Marketing) als auch für sein Publikum (Werber). Was dann wiederum Schulz zu einer Replik auf die Replik veranlasst, in der er Oetting kopfschüttelnd uneinsichtig […]

  2. Hanni sagt:

    Danke für die Richtigstellung. Werberinnen sind manchmal böse, aber nicht grundsätzlich blöd. Für einige ist sogar der Kasten „Das-Internet- ist-geil- und-wenn-ihr-es -nur-richtig- macht-dann- profitiert-ihr-gewaltig!“ gar nicht der neue Kasten. Es ist der alte Kasten.

  3. Iris sagt:

    Beim Blick in meine Glaskugel sehe ich: Der eigentliche Paradigmenwechsel wird sich für Werber erst noch vollziehen – und zwar mit dem Sturz des kapitalistischen Systems (bei dem allerdings das Internet eine nicht unerhebliche Rolle spielen düfte). Nur im Kapitalismus haben sie einen Platz, denn Werbung hat im Grunde keinen Nutzen für die Menschen sondern nur für das System mit dem primären Ziel Profitmaximierung.

  4. Stefan Schulz sagt:

    Weiss nicht, ob das so einfach ist. Werbung ist im Grunde auch eine gewaltige, gesellschaftliche Ressonanzmaschine… Um Profit geht es sehr häufig vielleicht nur noch in zweiter Linie.

  5. Iris sagt:

    Für die, die Werbung bezahlen, geht es um Profitmaximierung. Immer! Für die Adressaten hingegen ist Werbung ein nerviges und teures Minusgeschäft. Man denke nur mal an die gewaltige Ressourcen-Verschwendung, die da betrieben wird (nachts mit Werbung taghell erleuchtete Städte, vollgestopfte Briefkästen voller Prospekte, von denen ein Großteil ungesehen in den Papiermüll wandert, immer mehr und aufwendigere Produktverpackungen, einen gewaltigen SPAM-Datenfluss im Internet, den wir alle mitbezahlen müssen usw.usf.). Werbung kostet die Menschheit m.E. nur kostbare Rohstoffe, Energie und Lebenszeit und bringt nix als Frust. Ich behaupte einfach mal ganz kühn: Wenn es ab morgen keine Werbung mehr gäbe, könnten wir ab sofort alle Atomkraftwerke abschalten. Und aus dieser Perspektive ist es für mich keine Frage mehr, welchen gesellschaftlichen Wert Werbung hat. Ich bin davon überzeugt: Wer gute, nützliche Produkte anbietet, bekommt auch positive Resonanz. Wer nicht, der nicht und hat sie auch nicht verdient. Werbung macht aus Sicht der Konsumenten nichts wirklich besser, sie lügt ihnen höchstens eine zeitlang was in die Tasche.

  6. […] um den Vortrag von Martin Oetting scheint langsam erst interessant zu werden. Jüngst haben Stefan Schulz und Thorstena dazu etwas geschrieben, dessen Lektüre möglicherweise weiter helfen könnte, wenn […]

  7. Philipp sagt:

    Werbung ist ein Teil des Kommunikationsmanagements. Dies ist neben anderen Bereichen ein Teil des Marketings, welches selbst einen Dominanzanspruch in jedem Unternehmen erheben sollte. Denn nur durch „market-ing“, sprich dem Anbieten von problemlösenden Produkten und Dienstleistungen, kann das Herz unseres Bruttoinlandsproduktes weiter schlagen. Ich verstehe nicht, warum man sich über Marketing (und mit ihm die Werbung) aufregen sollte. Es ist von grundlegender Bedeutung für unser ganzes System – und das schon seit der Steinzeit.
    Bei ca. 5.000 Werbebotschaften welche täglich auf uns einrieseln, wäre eine Welt ohne Werbung einfach nur kalt und steril. Zudem, finde ich, hat sich die Kommunikation sehr gut hin zum Entertainment entwickelt. Und wenn ein Spot nur einen Schmunzler, einen kleinen MEHRWERT, herbeiführt, dann ist das doch etwas Gutes in dieser heutigen schimpfenden Welt!

    Auch ich bin, wie Martin Oetting, der Meinung, dass sich die Rahmenbedingungen der Kommunikation EXTREM verändert haben. Mit der Erfindung des Internets 1991 kam der Stein ins rollen. Es folgten E-Mail (1995), […] Socialising (2004) und Smartphones. Vergleicht man diese Entwicklungen mit der Vergangenheit, drängt sich der Schluß auf, dass wir uns in einer exponentiell verändernden Kommunikationswelt befinden, wessen Herzschlag vor allem durch 2 Komponenten getrieben wird: Speed und Scale. Wir befinden uns nicht mehr auf einer One-to-one oder one-to-many (klassische Website) Kommunikations-Schmalspurbahn; wir fahren auf einer mit menschlicher Leistungsfähigkeit kaum mehr messbaren digital-sozialen many-to-many-Autobahn. Und genau dies ist die grundlegende Veränderung. Warum stellt Coca-Cola in diesen Tagen seine PR komplett auf Social Media Feeds um? Warum verbringen Menschen immer mehr Stunden in Social Communities, werden süchtig nach Smartphone-Touchscreens und freuen sich über die Augmented Reality- oder Angry Birds-App?
    Weil sich alles ändert. Grundlegend.

    Ich verstehe ferner nicht den Kommentar, dass „Werber“ nur nach Profitmax streben und den Leuten „was in die Tasche lügen“. Ist da jemand neidisch auf Kreativität und Lebendigkeit? Klar, Profit ist notwendig um am hart umkämpften Markt zu überleben, aber wer heutzutage NUR nach Profitmax strebt, der hat mittel- bis langfristig verloren. Es geht darum, MEHRWERTE zu schaffen und PROBLEME zu LÖSEN. Die Welt besser zu machen. Zugegeben, es gibt sicherlich nicht viele Kommunikationsdienstleiter, welche so denken. Es ist eben auch eine Frage der Einstellung, welche in jeder Persönlichkeit begründet ist. Aber man kann sich nicht hinstellen und pauschalisieren, Werbung sei zum Lügen da – denn dies ist schlichtweg falsch und unsachlich.

    Was ich zur Beruhigung sagen will ist, dass Kommunikation essentiell wichtig ist, sich jedoch, vor allem auch durch die Entwicklung des Internets zu einer neuen Infrastruktur für (fast) alles, auch von selbst regelt: durch unser Gehirn. 95 % aller Infos welche wir täglich empfangen gehen durch Überlastung des selbigen verloren. Nur 5 % kommen durch – und dies schafft nur aufmerksamkeitsstarke, mehrwertgenerierende und ehrliche Kommunikation, crossmedial. Die grundlegende Veränderung der Kommunikation besteht darin, dass das Social Web „Lügner“ und überflüssige Produkte sofort bestraft (siehe Ergo Versicherung). Dies ist sicherlich auch das, was Martin Oetting meint. Von daher MUSS sich jedes Unternehmen und jeder Kommunikationsdienstleister an die eigene Nase fassen und EHRLICH kommunizieren. Denn nur dies trennt mittel- bis langfristig die Spreu vom Weizen in der Kommunikation und der daraus generierten Wirkung. In diesem Sinne: Auf die Kommunikation!

  8. Stefan Schulz sagt:

    Schönes Bewerbungsschreiben. Ich hoffe, Herr Oetting hats gelesen. (Inhaltlich ist es natürlich falsch, unglaublich niveaulos, geschichtsvergessen, autosuggestiv und unangebracht belehrend.)

  9. Philipp sagt:

    Dann habe ich Ihren Tonfall ja perfekt replizieren können, Herr Schulz. Schön, dass Sie dies bemerkt haben.
    Ich bewundere Sie für Ihren offenen Weitblick für die Zukunft der Kommunikation, welche ich u. a. als Kommunikationsforscher untersuche. Sie verfügen mit Sicherheit genauso wie ich über jahrelange Praxiserfahrungen im Unternehmensmarketing.
    Ferner finde ich es Schade, dass Sie so schlecht mit Kritik umgehen können (Ihre Antwort spricht Bände) – wobei Sie doch mit selbiger auch nicht gerade sparen.
    Nichtsdestotrotz wünsche ich Ihnen viel Erfolg mit Ihrem Blog.

  10. Jerri sagt:

    Lieber Herr Schulz, auch ich kann Ihnen das bessere Zuhören – über die Schmerzschwelle Ihres Egos hinaus – nur ans Herz legen (Sie verzeihen, dass ich mich hier nicht in Ihren überintellektualisierten, augenwischenden selbstbeweihräuchernden Singsang mit einstimme. Mein Ego ist vergleichbar gesund.). Sie disqualifizieren sich seit der ersten Kritik an Martin Oettings Vortrag bis ins Bodenlose öffentlich selbst und haben kein einziges Wort verstanden. Sie verüben gerade öffentlichen Suizid an der eigenen Reputation. Das geht im Netz schneller als Sie denken. Und so möge sich bitte derjenige der Neuen Medien bedienen, der damit auch umgehen kann. Und wenn man keine Ahnung hat: Einfach mal die Klappe halten.

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