Wer hat wozu und wieso überhaupt „Zeitungen“?

Zur Einstimmung bitte auch folgenden verlinkten Text lesen, um zu überprüfen, welcher von beiden sinnloser ist: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2009/04/Kiosk-Schluss-Mit

Es ist eine allgemeine Qual, Therapeuten sind entsetzt und eigentlich wissen wir es alle. Man erahnt es instinktiv und dennoch begegnet man demselben Frevel überall. Ca. 20 Mio. Menschen, vorrangig Männer, verbringen ihr Leben in Familien, verheimlichen jedoch, dass sie in Wahrheit allenfalls, sofern überhaupt, physisch anwesend sind. Geistig schwirren sie durch die Welt, verbringen Zeit in Gedanken und verstecken sich hinter quadratmetergroßen Papierzetteln, die sie moralisch aufgeladen als „Lektüre“ oder „Zeitung“ ohne weitere Erklärung höher als ihre Familien und Freunde bewerten.

Besonders ist diese Realitätsflucht an alltäglichen Morgenden zu beobachten. Anstatt das Familientagesgeschäft gemeinschaftlich zu organisieren, verkriechen sie sich hinter ihren „Zeitungen“ und verstecken ihre Familienmüdigkeit im geheuchelten Interesse an Gesabbel unzähliger Journalisten, die behaupten, besser (sic.) über die Welt urteilen zu können als sie selbst.

Wodurch dieser Anspruch auf besser herrührt, ist dabei bis heute nicht geklärt. Die Vermutungen, dass regionale Nähe zu Ereignissen oder Erfahrung mit Themen Begründungen sind, lagen lange nahe. Neuere Erkenntnisse zeigen jedoch, dass gerade Nähe zu Ereignissen oder ein reicher Erfahrungsschatz auszuschließen ist. Dies legen jedenfalls Verlautbarungen von „Journalisten“ nahe, die neuerdings mit erfahrenen Auskennern vor Ort um die Wette schreiben und an ihren Konkurrenten kein gutes Haar lassen.

Weitere Vermutungen konzentrieren sich auf die berufliche Ausbildung zum Schreiben. Da jedoch mittlerweile jeder Bürger lesen und schreiben lernt, hilft auch diese Fokussierung auf die Problemstellung journalistischer Professionalität wenig. (Einige erzählen, einige schrieben „einfach besser“ als andere – das können wir als Geschmacksurteil schlicht ignorieren.)

Die allerneuste Erkenntnis ist jedenfalls, dass „Zeitungen“ nicht wegen ihrer Inhalte wegen, sondern ihres Schutzschirmcharakters wegen gesellschaftliches Ansehen genießen. Um eine aufgeschlagene „Zeitung“ kann man nicht herumgucken, vor allem nicht in einer 8-m²-Küche. Eine „Zeitung“ auf der Wiese oder dem Mensatisch signalisiert, dass man bereits mit „Wichtigem“ befasst ist und menschliche Nähe unangebracht ist. Eine „Zeitung“ heißt „Zeitung“, weil sie kurze Zeitspannen von Unsicherheit im Alltag überbrücken. (So wie eine Gabelung einen Weg gabelt oder eine Wässerung irgendetwas wässert, schlägt die „Zeitung“ das zu-viel-an Zeit tot.) Wer eine „Zeitung“ in der Hand hat, hat zu tun. Ähnliches lässt sich bei Wasserflaschen im Sport oder neuerdings auf Wir-Reden-über-Medien-undso-Bühnen beobachten.

Während Wasserflaschen und Zeigestäbe vorrangig behandelt werden, um vom Körper abzulenken (im Sinne von: Was mach ich eigentlich mit meinen Händen, während ich nur meinen Kopf brauche), dienen „Zeitungen“ noch immer, um die Abwesenheit des Geistes, gesellschaftlich tragbar zu entschuldigen. Daher werden „Zeitungen“ auch nie in ihren Maßen schrumpfen, etwa auch halbwegs erträgliches Lesemaß von DIN-A3.

Das mit den „Zeitungen“ bleibende Problem ist, dass es zur Beschriftung von „Zeitungen“ noch immer Personal bedarf, dass sich angesichts seiner faktischen Rolle heillos überbewertet (etwa indem es glaubt, dass man sie liest).

Aber das wird sich auch noch ändern. Schließlich ist die andere funktionale Komponente der „Zeitung“, die Untermauerung eigener Behauptungen durch den Hinweis „in der „Zeitung“ gelesen“, bereits Geschichte.

1 Kommentar

  1. […] * Das eine derartig oberflächliche Auszeichnung in englischer Sprache gehalten ist, verwundert mich nicht – umso mehr jedoch, dass sie zur Selbstbeschreibung benutzt wird. **Nur für den Fall: In einem Buch bezeichnet man die erste Seite, die extra blank bleibt, als “Schmutzblatt”. Eine Zeitung als Drecksblatt zu bezeichnen soll daher nicht anstößig sein. Zeitungen sind nicht nur zum lesen da. […]

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