Rund um die deutsche Wikipedia gibt es gegenwärtig Aufruhr, da einige Admins (Wikipedia-Leute) Texte von Autoren (Welt-Leute) löschen und dies mit ihrem Katalog für Relevanzkriterien begründen.
Die Wikipedia ist ein besonderes Projekt. Sie ist, in erster Linie, eine Organisation und folgt somit klaren Regeln in Bezug auf: Wer darf was und wer darf nicht. In diesem Sinne ist sie eine gewöhnliche Organisation. Sie verfügt über Verfahren durch die geregelt wird, wer zu den Entscheidern gehört und was und wie entschieden wird.
In einem anderen Punkt ist sie jedoch absolut einzigartig. Sie ist für viele Nicht-Wikipedianer die erste und für noch mehr die einzige Anlaufstelle beim Suchen und Aufschreiben enzyklopädisch dargebotenen Wissens im Internet.
Und an dieser Stelle treffen zwei Prinzipien aufeinander. Auf der einen Seite steht die geschlossene Organisation die, selbstverständlich, wie jede andere Organisation, selbst über ihren Fortbestand entscheidet. Auf der anderen Seite hat sie es hauptsächlich mit Nicht-Wikipedianern zu tun.
Dieser Zwiespalt manifestiert sich in der Frage: Wie relevant ist die Welt eigentlich für die Organisation Wikipedia? Und es betrifft nicht nur die Mitglieder der Organisation, sondern auch ihre Themen. Die Wikipedia berichtet nicht über sich selbst, sondern gerade über die Nicht-Wikipedia-Welt. Sie entscheidet jedoch nur intern, welcher Weltausschnitt für sie relevant ist und welcher nicht.
Eine derartige Themen-Relevanz-Problemstellung haben beispielsweise auch politische Parteien. Auch sie entscheiden intern, was sie für wichtig halten und was nicht. Ähnlich Unternehmen, sie entscheiden, welche Forschungsergebnisse sie für wichtig halten, um sie in Produkte umzusetzen. Ähnlich Zeitungen, in denen die Redaktionen entscheiden, was ins Blatt kommt oder nicht.
All diese Organisationen entscheiden selbst, was relevant ist und was nicht. Allerdings: Der Selektionsmechanismus ist ein externer. Eine Partei, die sich thematisch verschätzt, wird abgewählt. Ein Unternehmen, das sich vertut, findet keine Käufer. Eine Zeitung, die Fehlentscheidungen trifft wird entweder nicht gelesen oder gänzlich ignoriert. Die Selektionsmechanismen operieren im Markt, im Wählerpublikum, in der Medienlandschaft – die Organisationen sind diesen Mechanismen ausgeliefert.
Der Wikipedia fehlt solch ein Selektionsmechanismus. Wikipedianer entscheiden, was relevant ist und was nicht – und es gibt keine Rückversicherung, die diese Entscheidungen bestätigt oder nicht. Man kann nun darüber streiten, ob eher die Inkludisten oder die Exkludisten (beides Wikipedianer) die Vorherrschaft erhalten sollten – oder aber, ob man nicht versucht, einen externen Selektionsmechanismus zu finden.
Warum darf man als Leser nicht darüber abstimmen, ob man einzelne Beiträge für gut und informativ findet oder nicht. (Dieses Prinzip gibt’s beispielsweise bei Amazon- oder iTunes- und YouTube-Kommentaren). Warum findet sich kein wikipediaexternes Gremium, dem strittige Artikel, bspw. alle zwei Monate vorgelegt werden? (An Engagement und Zeit mangelt es nicht.) Warum werden strittige Artikel gelöscht, statt als solche markiert. (Siehe verlinkter Text)
Ein Projekt wie die Wikipedia zeigt, dass es keinen statischen Prinzipienkatalog geben darf, der eisern durchgepeitscht wird. Die Grenzen zwischen Wikipedia und Welt sind zu unflexibel. Und die Gefahr besteht: die plötzliche Irrelevanz des gesamten Projekts. Während die SPD und Microsoft ganz langsam sterben und es letztlich keinen mehr überrascht, weil alle zusehen konnten, wie diesen Organisationen ihre Relevanz allmählich von außen wegselegiert wurde – kann das Ende der Wikipedia sehr abrupt kommen. (Auch hier noch mal der Hinweis, auf den schon oben verlinkten Text.)
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