Wenn man sich vor einem Soziologiestudium Gedanken darüber macht, über was man etwas lernen möchte, denkt man sicherlich schnell an „die Gesellschaft“ und „soziale Beziehungen“. Wenn man das Nachdenk- und Lesestudium dann absolviert hat, bemerkt man, dass gerade in diesen beiden Hinsichten nur weitere Fragen dazugekommen sind. „Die Gesellschaft“ und „soziale Beziehungen“ sind einfach stetig offene Punkte, um sie legen sich die Problemstellungen, wie das alles möglich sei und daran arbeitet man sich ab. (Auch der kleine Artikel hier weist nur auf Probleme hin ohne Antworten zu präsentieren.) Jeder hält seine eigenen Antworten parat, die Einzeln selten befriedigend sind und sich oft nur mit Mühe gegenseitig ergänzen.
Sätze wie der Folgende sind im Rahmen ernsthafter Soziologie kaum hinzunehmen: „Doch scheint die Gesellschaft auch ein halbes Jahrzehnt nach dem Aufkommen der sozialen Netzwerke nicht wirklich besser dran zu sein als davor.“ (Quelle: Carta)
Was soll es denn bedeuten? Seit einem halben Jahr gibt es im Internet soziale Netzwerke aber die Gesellschaft ist immer noch nicht besser dran..? Vielleicht ist die restliche Welt ja so viel schlechter geworden, dass das bisschen besser durch die Netzwerke im Gesamten dennoch eine negative Bilanz aufweist..? ;-)
Wenn man die Idee der „sozialen Vernetzung“ in einem theoretischem Rahmen aufgreift, also von praktischen Aspekten wie – es gab schon immer direkte Nachbarschaftshilfe – in Dörfern, die soziale Kontrolle bedeuten – neben Städten, in denen man auf dem Markt handeln konnte – absieht, ist der, meiner Meinung nach letzte sinnvolle Einstieg in die Theorie, die Idee von Max Weber, dass in einer sozialen Beziehung Akteure ihr Handlungen aufeinander, bzw. den anderen beziehen. Als der Akteur als Subjekt die Theorie verlässt, ist die, meiner Ansicht nach, aktuellste Fassung die systemtheoretische Idee, zwischen sozialer und gesellschaftlicher Integration zu unterscheiden.
Und die Frage ist – integriert das Internet sozial oder gesellschaftlich? Meiner Ansicht nach orientiert man sich kaum, nicht mal beim Twitterlesen, an anderen Menschen, sondern nur an der Maschine, die diesen Strom aus Wortwitzen und Bilderlinks bereithält. Jedenfalls ziehe ich mir kein T-Shirt über, wenn ich morgens das erste Mal in meine Timeline schaue, weil eben niemand der vielen Menschen an den anderen Enden der Internetleitungen zurückguckt, wie ich sie lese.
Das Internet integriert also in dem Punkt, wenn ich nicht direkt sondern indirekt adressiert werde, eher gesellschaftlich statt sozial. Ich orientiere mich primär nicht an (spezifischen) Anderen, sondern an der Kategorie des „Internetcommunitybenutzers“. Den Aspekt des „Sozialen“ könnte man beim beschreiben der Vernetzung also ruhig nochmal grundlegend überdenken. (Muss man aber nicht. Man kann auch mit der Beschreibung einer akteurszentrierten, vernunftbeseelten Gesellschaft, in der sich Freundlichkeit an der Lidl-Kasse auszahlt, zufrieden sein.)
Über „soziale Vernetzung“ und ihre Auswirkungen auf die „Gesellschaft“ sinnvolle Aussagen zu treffen verbietet sich nicht aber es ist so viel schwerer als man auf den ersten Blick glaubt. Die Gefahren der „gefühlten Empirie“ sind, da hier auch stets nur Selbstbeschreibungen vorliegen, ebenfalls nicht zu vernachlässigen.
(Allerdings muss man keinen wissenschaftlichen Maßstab an die Gesellschaftsbeschreibung anlegen. Nur könnte man dann auch offen dazusagen, dass die aufgestellten Listen der Unterhaltung, Huldigung, Bildung, … dienen sollen, statt eine wahre Wahrheit darzustellen. Denn: „Das Soziale sollte vielmehr geprägt sein von Vertrauen, Verbindung und Gemeinschaftsgefühl.“ finde ich auch. Nur würde ich es nicht einfach so sagen.)
(Bild: Let Ideas Compete)
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