Punk ist… Oder: wie viel sind 2000 Mädchen?

Mit jeder neu erschienenen Platte einer der (so genannten) deutschen Punkbands kommt die ebenso intelligente wie auch überlebensnotwendige Frage auf, ob das noch „Punkrock sei“. Seien es Die Ärzte oder die Toten Hosen, es spielt im Endeffekt keine Rolle, welche Band mit welcher musikalischen Ausprägung – die Frage bleibt stets dieselbe. Und da die Ärzte am 13.04. ihr neues Album, das schlicht „auch“ betitelt ist, veröffentlicht haben, sind auch die Gralshüter des Punk wieder dazu aufgerufen, die Argumente runterzubeten, die sie (eigentlich) bei jeder Veröffentlichung von sich geben. Die Argumente aufzuzählen, ist wohl in der Tat einigermaßen witzlos, da jeder, der sich auch nur ein Fünkchen für Musik interessiert, alle Argumente kennt. Kommerzialisierung, empörte Aufschreie, dass das letzte Album ja noch so gerade eben durchgehe, aber das ja nun wirklich (!!!) kein Punk mehr sei, Anspielungen auf das Alter der Protagonisten und Aufforderungen, die Instrumente doch nun bitte endlich in den Schrank zu stellen und dergleichen mehr. Dass die Hallen der Tour – in diesem Fall – von Die Ärzte restlos ausverkauft sind, wird als kollektive Geschmacksverwirrung der Zuschauer disqualifiziert. Schließlich liegt die Deutungshoheit über gute Musik im deutschen Musikjournalismus. Und wer sich dessen Einschätzung gegenüber deviant zeigt … dem ist nun wirklich nicht mehr zu helfen.

Dass die Reflektionsschleife der Kritiker dabei freilich in guten Momenten von der Tapete zur Wand reicht, muss fast nicht erwähnt werden. Wenn das Unwort „Kommerzialisierung“ fällt, möchte man am liebsten zurückfragen, ob der jeweilige Kritiker von Brot und Luft lebt. Oder präziser: ob die Tatsache, dass auch bei laut.de Geld verdient wird, nicht eo ipso Beweis der Kommerzialisierung des Musikjournalismus ist? Weiter gefragt: wenn Bands nicht mehr authentisch sind, weil sie mit ihrer Musik (viel?!) Geld verdienen, wie kann es dann der Kritiker, der mit Kritiken seinen Lebensunterhalt verdient, sein? Sind die Musiker schuld, dass ihre Musik gefällt? Und überhaupt: wer nimmt denn ernsthaft an, Musik sei ohne wirtschaftliche Infrastruktur zu realisieren? Alles Hinweisen auf Gehaltsunterschiede zwischen Musikern und Kritikern ist hier substanzlos, da es um den logischen Aufbau des Arguments geht und nicht um Einkommensunterschiede – wäre dies der Fall, müsste man wohl jedem Verriss Neid unterstellen. Auch das Insistieren auf das Alter[1] der musikalischen Protagonisten und ihre Disqualifikation als „Berufsjugendliche“, möchte man mit der Frage zurückspiegeln, ob nicht gerade der Musikjournalismus der Ort ist, an dem sich lächerliche Neologismen, schlechte Anglizismen und auf (pseudo-)cool getrimmte Texte die Hand geben…angereichert mit Ausflügen ins „Englische“, die ernsthafte Zweifel an der Fremdsprachenkompetenz der jeweiligen Autoren wecken. Was wohl Götz Kühnemund auf die Frage, warum man seine Rezensionen noch lesen sollte, da er in ungefähr demselben Alter der Kritisierten ist, antwortet? Trifft das Argument, das Musiker zu alt sind, nicht auch auf die Kritiker zu? Wie viel sprachliche Innovation kann man erwarten, wenn jemand die x-te Rezension seines Lebens schreibt? Und wischt nicht die Routine des Schreibens das Einfühlen in eine neue Platte weg? Und was kostet es eigentlich, Redakteure nach Übersee zu fliegen, um Interviews ohne Neuigkeitswert zu produzieren? Gelten eventuell für Kritiker andere Kriterien als für Schaffende? Und wenn ja, wo stehen diese? Man hört das petitio principii förmlich trapsen.

Aber sind die „alten Sachen“ nicht trotzdem besser? Nun, möchte man mit leichtem Zweifel festhalten, „Planet Punk“, „Le Frisur“, „13“ und all die anderen Alben, die als Kontrasmittel herangezogen werden, sind ja schon geschrieben. Warum also noch einmal?

Das bedeutet im Übrigen nicht, dass es keine guten Rezensionen mehr gibt. Zu oft aber ist die Hybris zu offensichtlich.

Die Selbstsicherheit des Musikjournalismus überrascht dann eben – wenn auch unbeabsichtigt – doch. Woher weiß man denn, was Punk ist? Ob der Kritiker wohl selber in der Innenstadt rumlungert und Passanten anschnorrt? Man weiß es nicht. Man kann nur raten. Würde er es, wäre zwar die Frage nach dem, was Punk ist, noch nicht beantwortet, aber der Kritiker hätte sich Authentizität verdient. Aber das Ausklammern des Kritikers als Person aus dem Fließtext ist selbstredend wichtig, um die Illusion der Objektivität aufrecht zu erhalten. Eine Antwort ist also eher nicht zu erwarten.

Was „ist“ nun aber „auch“? Und was sagt man über ein Album, das mit den Worten „Fick dich und deine Schwestern“ beginnt? Ohne jeden Zweifel ist das Album eine Ansammlung von Stücken, die bereits auf den ersten Blick den drei Protagonisten zugeordnet werden können. Man hört bei jedem Stück die Orchestrierung der Band als Dreifaltigkeit heraus. Hier gibt es dann gute (Bettmagnet, Sohn der Leere, Die Hard), bessere (Das darfst du, das quietischige Tamagotchi, Das find ich gut) und superbe (TCR, Fiasko, Miststück, M&F, Cpt. Metal, Waldspaziergang mit Folgen) Lieder. Und sogar ein Lied über die Beobachterrelativität der Moderne hat es auf die Platte geschafft (denn es gibt besseres zu tun/es gibt auch schlechteres zu tun/[…] als Die Ärzte zu hörn). Dass „Schneller Leben“ immer noch unerreicht und nicht jeder Reim/Gedanke lustig ist, versteht sich fast von selbst. Ob man den Eindruck hat, dass die Band aus Berlin (aus Berlin) sich selber ernst nimmt? In Anbetracht von Zeilen wie: “Punk ist der Mainstream jetzt/mach du mal schön dein Ding“, gibt es wohl unbenommen keine Band, die mit mehr heiligem Ernst versucht, Punk zu „sein“.

Was unterscheidet also Die Ärzte von ihren Kritikern? Sicherlich das Maß an Selbstgewissheit, das sie sich selber zu Grunde legen. Man könnte auch sagen der (auf diesem Album) ironische Umgang mit sich selber.

Ist das also noch Punk? Ziehen wir Richard Rorty zu Rate: „Ironie ist reaktiv, wenn nicht gar ihrem Wesen nach ablehnend. Ironiker brauchen etwas, woran sie zweifeln können, dem sie entfremdet sind.“

Und wessen möchte man sich lieber entfremden als der Selbstsicherheit des professionellen Musikjournalisten?

(Bild: bademeister.com)


[1] Selbstredend war früher alles besser. „In aller Stille“ ist ein schlechteres Album als „Opel Gang“ und „auch“ wird wohl nie in die intellektuellen Höhen von „Uns geht’s prima“ vorstoßen.

Veröffentlicht von Henrik Dosdall

denkt, dass Luhmann recht hatte und liest die Soziologie dementsprechend. Schwerpunkte sind Systemtheorie und Epistemologie.

1 Kommentar

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