Die Reflexe funktionieren noch. Gott sei Dank, denn ohne sie, bliebe von der deutschen “politischen Blogosphäre”* beinah nichts. Die Herren um “netzpolitik.org” haben einen Verein gegründet, die “digitale Gesellschaft”. Doch statt das internetgestützte Engagement begeistert zu begrüßen oder wohlwollend zu ignorieren entschied man sich vielerorts für den dritten Weg, mit dem beinah jede politische Regung in- und außerhalb des Internets begleitet wird: Man hört davon und regt sich auf. Die Kritikpunkte in einem Satz: Die digitale Gesellschaft ist ein abgeschotteter Lobbyverein, der sich anmaßt, die „Netzgemeinde“ zu vertreten und vom Publikum Leistung einfordert, ohne Mitsprache einzuräumen.
Diese Kritik wird beispielsweise durch einen Vergleich zur Piratenpartei konturiert. Die guten Piraten wollen Heimat der „Netzbürger“ sein, sie sind offen für alle Themen und Personen. Der dadurch entstehende Zwang zur Diskussion ist allerdings nicht nervenaufreibendes, Pragmatismus einforderndes, im Grunde als lästig empfundenes Verfahren der Willensbildung, sondern, aus merkwürdigen Gründen, das Lebenselixier der Partei. Dass es die Piraten überhaupt noch gibt, stellt ein kleines Wunder dar. Vor ein paar Jahren sprang man auf den durch Europa rollenden Zug mobilisierungsfähiger Netzpolitikthemen auf, doch anstatt die Lok zu stürmen, trifft man sich seitdem im Bistrowagen “Ortsverein” und spielt “Eine Idee, Zehn Männer, Hundert zu klärende Fragen”. Was der Partei, vielleicht durch ihre Jugendlichkeit, fehlt, ist die Einsicht, dass man in einer nicht perfekten Welt mit ebenso nicht perfekten Werkzeugen durchaus auch mal aktiv mitmachen darf, gerade in der Politik.
In diesem Sinne stellt die “digitale Gesellschaft” vielleicht einen Gegenentwurf zu den Piraten und politischen Parteien überhaupt dar. Der Verein hat eine begrenzte Zahl Gründer und es wird wohl kaum öffentlich diskutiert werden. Zuarbeiten in ideeller und finanzieller Hinsicht sind erwünscht, die Zielrichtung ist allerdings vorgegeben. Die beiden wichtigsten Unterschiede: 1. Die Organisation investiert in eine schmucke, ansehnliche, aussagekräftige “Schauseite” (hinter der sich die eigentliche Arbeit verbirgt). 2. Die Organisation macht ihre Tatkraft nicht abhängig von Wählerunterstützung, sondern handelt auf eigene Entscheidung. Sie zielt nicht auf politische Macht (Gewinnung von Mandaten und Besetzung von Ämtern), sondern agiert im Feld des politischen Einflusses, macht sich unter Mandatsträgern bekannt und bietet Amtsträgern konkret Unterstützung an.
Das klingt auf den ersten Blick nach bösem Lobbying, ist aber in einer politischen Wirklichkeit, die dem “Parlamentarismus” und der “politischen Wahl” enteilt ist, meiner Ansicht nach, folgerichtig. Um das zu verstehen, benötigt man aber weniger eine Eigenschaftsbeschreibung des Vereins “digitale Gesellschaft” als eine Beschreibung der Politik, die aktuell kaum noch in einer “Berliner Republik” stattfindet, sondern längst substanziell, konzeptionell und kulturell in die “EU-Sphäre” abgewandert ist.
Die Spielregeln dort sind andere, und dass darüber wenig bekannt ist, liegt unter anderem daran, dass die EU neben Parlament und politischer Wahl auch auf eine universal informierte Öffentlichkeit nicht mehr angewiesen ist. Trotzdem handelt es sich, zumindest nach soziologischen Gesichtspunkten, um eine Demokratie. Die Fragen sind: Wie funktioniert die EU? Warum sind Vereine, mit einer Anlage wie sie die digitale Gesellschaft aufweist, ein adäquates demokratisches Mittel um sich heute politisch zu engagieren?
Die EU zu verstehen ist nicht ganz einfach. Man muss sich davon verabschieden, zu erwarten, dass sie die gängigen Politikmodelle der EU-Mitgliedsstaaten imitiert und man muss sich, wichtiger noch, davon verabschieden, dass Demokratie funktioniert, wie es sich die Politikwissenschaft die letzten 30 Jahre ausgedacht hat.
Demokratie ist die politische Praxis, die erfolgreich politisch entscheidet ohne Gewalt(mittel) zu (ver)brauchen. Parlamente, Parteien, Wahlen – sind dafür nicht zwingend nötig. Wichtiger ist, dass ein demokratisches Politikmodell Protest erkennt, Engagement einfängt und Entscheidungen so vorbereitet, dass sie ab dem Moment der Entscheidung gelten und nicht aufwendig durchgesetzt werden müssen. Es ist leicht einsehbar, dass die demokratischen Prinzipien in der EU funktionieren – weil Protest fehlt, Engagement genutzt wird und recht selten mit Polizeigewalt EU-Gesetze gegen Widerstand durchgesetzt werden müssen. Auch wenn noch viele Aspekte der politischen Repräsentation und Partizipation unverstanden sind, kann man behaupten: Die EU-Institutionen sind faktisch und substanziell legitimiert.
Der EU sind dabei nicht nur Parteien ziemlich egal, sondern das ganze politische Publikum als solches. Lassen sich die 80 Millionen Deutschen noch über einen Kamm scheren und auf 5 „Volksparteien“ verteilen, ist das für die 500 Millionen EU-Bürger zwischen Mittelmeer und Nordkap ausgeschlossen. Man versuchte erst gar nicht, einen einheitlichen Kulturraum zu definieren.
Gering war somit das Bedürfnis nach europäischen Parteien, die Publikumsausschnitte themenneutral vertreten. Das Zentrum der EU bilden die intergouvernementalen Ministerräte und die supranationale EU-Kommission. Das als „Redeparlament“ in den 1970ern gegründete EU-Parlament bleibt bis heute seiner Rolle als Forum treu, manchmal darf es mitbestimmen, formale Initiativrechte hat es kaum.
Statt Parteien, die ein Publikumsausschnitt repräsentieren, setzt man im EU-Politikmodell beinah ausschließlich auf Interessenorganisationen, die konkret Betroffene vertreten. Das ist der ganze Trick. Alle weiteren Aspekte beruhen darauf.
Die EU ruft nicht zu Wahlen auf, zu denen aus einem kleinen Angebot von Parteien die geeignete (am wenigsten ungeeignete) auszuwählen ist. Die EU lässt sich Beschlussvorlagen, die in mühevoller, politischer Kleinarbeit erarbeitet wurden, nicht in einem vor Machtpolitik erblindeten Parlament zerreden. Und die EU finanziert keine Parteien, nur weil sie es geschafft haben, mithilfe schöner Köpfeplakate die 1%-Hürde zu bewältigen.
Die EU hat ein Budget für Interessenorganisationen, die sich in Brüssel inhaltlich beteiligen wollen. Sie lässt es zu, dass jeder Ministerrat seine eigene Arbeitslogik ausbildet. Und die EU drängt sich nicht auf, sondern bietet Betroffenen formale Strukturen für Mitgestaltung an.
Wie macht sie das? Sie sondiert immer und überall. Was im nationalen Parlamentarismus als unerwünschtes Lobbying gilt, ist in der EU der erwünschte Normalfall. Die EU duldet nicht nur Lobbying, sondern bittet um Mitgestaltung. Betroffene (juristische und natürliche) Personen, die von einer politischen Entscheidung derart positiv oder negativ betroffen sind, dass sie sich organisieren, also Potenzial für politischen Protest / politische Unterstützung darstellen, finden in der EU eine Adresse für ihre höchstpersönlichen Sorgen/Anliegen, unabhängig von Legislaturrhythmen, unabhängig von der politischen Sacharbeit zu anderen Themen.
Es gilt aber: Die Sorgen und Anliegen müssen organisiert vorgetragen werden. Wer einsam herumschreit, sich heute hier und morgen da politisch äußert, wem stetige, themenzentrische Arbeit oder Mobilisierungspotenzial fehlt, wird ignoriert. Dies gilt etwa für die „politische Blogosphäre“, die sich andauernd betroffen wähnt aber nicht imstande ist, sich zu organisieren. Schimpfen und es dabei belassen, alle 4 Jahre zu wählen, das gilt im EU-Zeitalter nicht als politisches Engagement.
Die „digitale Gesellschaft“ tut nun, mit Bezug auf die vorgestellte Diagnose des EU-Politikmodells, das richtige: Sie stellt eine themenzentrische, politische Organisation dar, die programmatisch eng und personell eindeutig gefasst ist und für die Politik eine ordentliche Adresse darstellt. Und es gilt im Besonderen, dass sie eine Adresse für „etwas“ ist, dass sich bislang als recht unorganisiert und ziemlich unadressierbar darstellte: politische Anliegen und Sorgen, die mit mal mehr, mal weniger Sachverstand ins Internet geschrieben werden.
Bleibt die Kritik daran. An dieser Stelle könnte man der Einfachheit halber auf Sascha Lobos Vortrag zur Trollforschung auf der re:publica verweisen. Er nutzt die ersten Minuten, um seinem Publikum vorzuwerfen unorganisiert zu sein, für die wissbegierige Gesellschaft trotz Großmäuligkeit nicht als belastbare Adresse zur Verfügung zu stehen, nur wild rumzupöbeln, destruktiv alles zu kritisieren anstatt selbst einmal mittels Tat konstruktiv in die politische Wirklichkeit einzugreifen. Und recht hat er! Nach 10 Jahren Selbstbejubelung bleibt die „politische Blogosphäre“ in Deutschland beim Beschimpfen anderer.
Dass man sich jetzt darüber aufregt, dass die „digitale Gesellschaft“ ihren Anspruch als Namen trägt, dass sie die Repräsentation des „unrepräsentierbaren Selbst“ beansprucht, dass sie keine Diskussionen zulässt … Dieses Gerede kann von den Machern zurecht wegen vorhersehbarer Folgenlosigkeit ignoriert werden.
Die „digitale Gesellschaft“ ist ein Mitspieler in der Politik, wie viele andere. Nicht wenige tragen lustige Namen: „Institut der deutschen Wirtschaft“, „Vertretung des Landes Brandenburg bei der Europäischen Union in Brüssel“, „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“, „Allgemeiner Deutscher Automobil-Club“ – sollten sich jetzt alle Unternehmer, Brandenburger, Sozialdemokraten und Autofahrer empörend erheben, nur weil sie nicht verstehen, dass das Grasbüschel unter dem Wegweiser noch nicht das Ziel ist?
Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Johnny Häusler und Markus Beckedahl plötzlich nur noch Blödsinn machen, nur weil sie sich in die Lage versetzten, politische Budgets anzuknabbern und Einfluss auszuüben. Ihren Pragmatismus haben sie bereits bewiesen und perfekt sind sie auch nicht. Es ist also alles gut. Von der Anlage her, ist es einer der interessantesten Versuche, Themen die im Umgang mit dem Internet aufkommen in die Politik zu impfen.
* nicht zu verwechseln mit den „AK“-Initiativen, den FoeBuD- und CCC-Bemühungen, usw.
(Bild: René Slaats)
Der Vergleich mit den Piraten (und erst recht auch mit der SPD) hinkt, weil eine Partei immer einen anderen Anspruch haben muss als ein Lobbyverein. Insofern ist die „digitale Gesellschaft“ auch kein „Gegenentwurf“. Doch die europäische Begründung ist – mit Verlaub – nun wirklich abwegig. Auch die europäische Netzbewegung hat nicht gerade auf einen abgeschotteten Verein aus Deutschland gewartet.
Die digitale Gesellschaft und die Piratenpartei sind in dem Sinne einander Gegenentwürfe, als dass sie für politisch Interessierte Anlaufstellen für Engagement bieten. Aktives Mitglied bei den Piraten / Praktikant auf Zeit bei der „digitalen Gesellschaft“ – das sind, praktisch gesehen, keine zwei Welten.
Die „europäische Netzbewegung“ hat nicht auf einen deutschen Beitrag gewartet. Man hat jedoch festgestellt, dass Projekte wie die VDS, Swift, Online-Durchsuchung, usw. allesamt einen Ursprung in EU-Initiativen haben. Die politische Arbeit im Publikum vollzieht diesen Wandel mit. Greenpeace (der Vgl. steht ja bereits im Raum) fällt beispielsweise nicht mehr durch das Wahlpublikum beeindruckende öffentliche Aktionen, sondern konzentrierte Sacharbeit in Brüssel auf. Ich vermute, das ist der neue Pfad, der einzuschlagen ist – das Ziel ist nicht die Öffentlichkeit, sondern die Politik.
Willkommen in der Postdemokratie: Wer reich genug ist für den Zugang zu den politischen Entscheidern in Brüssel und Straßburg darf mitmachen… Ja. „Digitale Gesellschaft“ bedient perfekt dieses Politikverständnis. Und wenn es nur um VDS, SWIFT usw. ginge, würde ich Dir sogar Recht geben. Es ist aber genau dieses Politikverständnis, das zu VDS und SWIFT geführt hat. Dieses grundsätzlich Misstrauen den Bürgern gegenüber. Die Arroganz einer Elite, die der Demokratie entzogen ist im Bündnis mit den Interessen der Konzerne. Gegen die EU ist Berlin tatsächlich ein griechischer Marktplatz.
„Praktikant auf Zeit bei der “digitalen Gesellschaft” „; ihr wollt also die „Generation Praktikum“ fortführen, schafft euer eigenes Ausbeutungssystem ? und das ganz unverhohlen, Respekt. Und wollt dazu EU-Mittel, also Steuergelder abschöpfen ?
Da unterscheidet Ihr Euch aber gewaltig von Greenpeace.
Greenpeace zahlt in der Regel nämlich marktübliche Gehälter.
Ich gebe zu, mir war bisher nicht bekannt, daß man europäische Entscheidungsprozesse auch so sehen kann. Trotzdem wäre ich, wenn der Lobbyismus wirklich die Methode der Wahl sein soll, mit dem Begriff Demokratie vorsichtig. Demokratie ist nicht da, wo sich kein Protest regt, Demokratie ist da, wo der Demos regiert. In der EU ist es nur äußerst mittelbar der Fall. Deshalb würde ich da eher von Oligarchie/Aristokratie sprechen. Denn nicht alle haben Zeit und Geld, sich in den Entscheidngsprozess in der Weise einzbringen, die scheinbar gefordert wird.
Steffen – wie gesagt, es erfordert ein wenig Pragmatismus. Die perfekte Welt wird es nicht geben, auch wenn wir sie uns vorstellen können. Das EU-Politikmodell ist jedenfalls nicht weniger perfekt als das nationalstaatliche – aber leistungsfähiger. U. a. gerade weil nicht nur Eliten einen Lobby-Zugang haben, sondern die Lobby jetzt allen offen steht – wenn sie ein wenig Engagement mitbringen!
Gabriele – lasse deinen Zorn woanders aus, ich habe mit der „digitalen Gesellschaft“ nichts zu tun.
Bundesbedenkenträger – Ein Demos, der aus mehr als 7 Personen besteht, kann sich nicht selbst regieren und selbst die Prinzipien der politischen Repräsentation sind begrenzt (… für einen in Dtl. üblichen 250.000 Bürger / Bundestags-Wahlkreis allenfalls theoretisch erklärbar).
Letztlich besteht Demokratie darin, die in Mehrheitsentscheidungen stets übrig bleibende Minderheit durch unterschiedliche (Macht-)Mechaniken zu besänftigen – also Protest abzufangen und Engagement einzufangen. Alle Ideen zu einem sich selbst regierenden Demos sind politikwissenschaftliche Ideen, die in Museen und Märchenbücher gehören (und immer gehörten).
Moin Stefan,
vielen Dank für den Beitrag. Du hast mit vielen Worten ausgedrückt, was ich empfand, als ich (unter anderem) F!XMBRs Rant gegen die Digitale Gesellschaft gelesen hab‘.
Es steht jedermann zu, einen Verein zur Beeinflussung der politischen Meinungsbildung zu gründen.
Ich habe jedoch Zweifel, dass er, gerade wenn er in der Absicht gegründet wird, ggü der Politik zu agieren, als das wahrgenommen wird, was er ist. Der Name täuscht über Grösse und Relevanz, er postuliert eine Homogenität, die nie gegeben war – und er hat einen thematische Fokus, den man kritisieren darf.
Einfach den F!XMBR, der in der Tat nicht die oberste Argumentationsschublade war, als Beispiel aufzustellen, ist ein bisschen simpel.
Darüber hinaus darf man schon mal fragen, was denn wirklich dagegen spricht, eine Satzung zu kommunizieren, die seit heute sogar beim Amtsgericht vorliegt.
Ich bin nicht ganz sicher, aber ich habe ein bisschen Zweifel, ob es überhaupt richtig ist, das dezentrale, verteilte und spontane der bisherigen Meinungsbildung durch eine zentrale Planung zu ersetzen (bei allem Verständnis für die Ziele des Vereins, die ich wohl zu 70% Teile). War das nicht sogar die Stärke? Vielleicht stellen wir in 20 Jahren fest, dass eDemocrazy genau in die andere Richtung geht, die flüssige statt der festen Form. Das mag jetzt realitätsferne Spinnerei sein angesichts von SWIFT etc., aber wundern darf man sich nun nicht, wenn ein DigiGes-Modell von vielen Seiten kritisiert wird.
Vorschlag: Lasst die DigiGes machen, wir sind ein freies Land. Kritik muss aber erlaubt sein. „Schimpfen“, „Grossmäuligkeit“, „Blödsinn“ sollte man nur schreiben, wenn man konkret Ross und Reiter nennt.
Stimmt schon, dass die Digitale Gesellschaft ein Gegenentwurf zur Piratenpartei ist. Schließlich ist die Piratenpartei demokratisch organisiert, offen und transparent. Außerdem ist ein transparenterer Lobbyimus erklärtes Ziel der Piraten, insofern stehen sich hier eventuell sogar 2 Player diametral gegenüber.
Woher soll ich denn wissen, ob Johnny überhaupt Mitglied der Digitalen Gesellschaft ist? Hinweise darauf finden sich jedenfalls keine. Parteien und Automobilclubs haben wenigstens den Vorteil, dass jeder der will Mitglied werden kann und damit mitgestalten kann.
Nach deiner Definition der EU -Demokratie sind übrigens China, Nordkorea oder Kuba ganz hervorragende Demokratien, erfüllen sie doch alle von dir genannten Bedingungen: es gibt nur selten Protest dagegen, der durch Polizeigewalt niedergeschlagen werden muss. Ein zwingende Bedingung für Demokratie, die du nicht erwähnst, erfüllen sie jedoch nicht: Transparenz. Was übrigens auch der einzige Vorwurf ist, der der Digitalen Gesellschaft absolut zu recht gemacht wird.
Christoph Kappes – die „digitale Gesellschaft“ repräsentiert keine Personen, keine Institutionen, nicht das Internet, sondern kennt sich mit Themen aus und gibt auf Fragen Antworten. Wie jeder politische Interessenverein.
Findet in der politischen Blogosphäre „Meinungsbildung“ im Sinne des Wortes statt? Ich denke eher Meinungsaustausch, Meinungsfindung, usw.
Kritik ist erlaubt und Kritik an Kritik auch. „Grossmäuligkeit“ ist gegeben, wenn Leute mit grossen Worten darüber erzählen, dass überall auf der Welt mit Hilfe von „Social Media“ Revolutionen statt finden aber sich bei eigenen Angelegenheiten gerade so zum politischen Hashtag hinreissen lassen, während sie alles weitere wissend erdulden.
Max (oder wer sich da für Max ausgibt) – Klar kannst du in Parteien und Autoclubs Mitglied werden. Für Geld gehörst zu zum Publikum, die Leistungsrollen bleiben dir weiterhin verschlossen.
Nochmal meine Demokratie-Definition: Demokratie ist, wenn Entscheidungen nicht Gewaltmittel verbrauchend durchgesetzt werden müssen, sondern wenn Entscheidung durch Enttäuschung antizipierende Vorbereitung faktisch legitimiert sind. (Was das mit Nordkorea und China zu tun haben soll weiss ich nicht.)
Wieso ist Transparenz eine Bedingung von Demokratie? Eine Nette Idee aber welche theoretische Überlegung, welcher empirische Fall verweist darauf? Und: wie viel Transparenz ist den nötig? Reichen 2,78 Transparenzpunkte für Demokratie?
Abgesehen vom Reizwort
fand ich die Aussagen zu Brüssel & EU besonders spannend. Sind die Aussagen aus eigener Erfahrung enstanden? Ich habe die Erfahrung, dass in der Kommission meist sehr integere, schlaue Technokraten sitzen. Mit Geld kommt man da nur weiter, weil man den besseren, überzeugenderen Experten hin schicken kann. Bei vielen Themen ist die Lösung aber klar und da nützt auch der teure Lobbyist nix. Im Gegenteil: Man kann den teuersten Lobbyisten in Brüssel relativ schnell verbrennen (schneller als in Berlin), wenn man ihn aus privaten Interessen zwingt Bockmist zu erzählen. Dann bringt Geld auch keinen Einfluss mehr.Ich hatte mich im Studium mal mit der politischen Legitimation der EU auseinandergesetzt. Anlass war vor allem die viele Kritik, die immer daran ansetzte, eine eigene realitätsferne Idee von Demokratie im Hinterkopf zu haben.
Überraschand fand ich, dass die EU gezielt einen Gegenlobbyismus zum Industrielobbyismus aufbauen wollte. In Deutschland hält sich das politische Zentrum die Bürger vom Leib – wer Ansprüche hat, soll sich eine Partei suchen und sich in ihr hocharbeiten. Die EU ermöglicht eine viel direktere Teilhabe. Wer betroffen ist und für üblichen Lobbyismus kein Geld hat und für Parteienarbeit weder Zeit noch Nerven, bekommt von der EU relativ zügig Geld, um in Brüssel vorstellig zu werden. Überraschend fand ich auch, dass die EU von sich aus auf Protestgruppen zugeht – sich also für politische Aktivitäten im Publikum aktiv interessiert.
Kurz: Wenn man davon Abstand nimmt, die „Demokratie“ in der EU zu suchen und stattdessen funktionalistisch untersucht, wie im EU-Politikmodell Legitimation hergestellt wird kann man sich auf einige (positive) Überraschungen gefasst machen.
Vereine wie die „digitale Gesellschaft“ die genau diesen „Bürgerlobbyismus“ darstellen, mit persönlicher Erfahrung und Engagement an die Sache gehen, finde ich begrüssenswert – und wenn sie sich orientiert haben, werden sie auch ihren Erfolg haben.
Dein Demokratiebegriff reicht deutlich zu kurz: nach deiner Definition, die ja nicht viel mehr sagt als „Demokratie ist, wenn nachher niemand das Maul aufreißt“ würde Länder wie China zu großartigen Demokratien machen, weil da trotz recht geringem Einsatz von Gewaltmitteln niemand auf die Idee kommt zu rebellieren. Daher der Vergleich.
Zur Lobbyismusbekämpfung durch Gegenlobbyismus: im Ergebnis hat man dann eben nicht eine Lobbyvereinigung, die probiert ihre Interessen durchzusetzen, sondern derer zwei, die ihre eigenen Interessen durchsetzen. Als außenstehender habe ich keine Möglichkeit in diesem rumgeschiebe festzustellen, wer von wem bezahlt wird, um wessen Interessen durchzusetzen.
In diesem Spielchen könnte die vorher bereits erwähnte Transparenz deutlich weiterhelfen. Zum Beispiel habe ich noch nie davon mitbekommen, dass auf EU Ebene irgendjemand nach seiner Meinung gefragt worden wäre, geschweige denn in den daraus resultierenden Gesetzen irgendetwas davon bemerkt. Falls sie also stattgefunden hat, dann äußerst gut versteckt, was mein Gefühl natürlich noch verstärkt, dass politische Partizipation nicht erwünscht ist und auf ein Minimum eingeschränkt werden soll.
Wie ein Verein wie die Digitale Gesellschaft, der keine nach außen auftreten Mitglieder hat (außer Markus), keine Beteiligung will (außer dass ich Werbung für den Verein machen soll) und Spendern großzüzig Mitsprache zuspricht, ohne ihre Namen zu nennen, mir weiterhelfen und meine Interessen vertreten soll ist mir schleierhaft.
Max – der Gewaltmitteleinsatz zur Sicherung der politischen Ordnung in China ist immens. Dort nimmt man dir deine Website weg, gibt dir keine unternehmerische Freiheit und lässt dich nur ein Kind haben. Bei Widerstand droht totaler Eigentumsverlust oder Gefängnis. Ich verstehe nicht, wieso das nicht einsehbar ist…
Das EU-Prinzip von Industrielobbyismus und Bürger-Gegenlobbyismus ist, dem Gegenlobbyismus einen Zugang zu geben. Politik wird nicht auf massenmedialer Bühne gemacht, sondern in Interaktion – im Gespräch unter Anwesenden vor Ort. Wieso die massenmediale Bühne mit dem üblichen politsprech, Kampagnenaktionismus und Parteiengeschacher besser ist, sollte erstmal geklärt werden, bevor die Argumentationskeule „Transparenz ist gut“ geschwungen wird.
Ob die „digitale Gesellschaft“ dein Ansprechpartner ist, weiss ich nicht und es ist auch egal. Alles was ich sagen wollte war: Wenn schon politisches Engagement, dann auf der Höhe der Zeit mit Hilfe einer, wie oben beschriebenen, Interessenorganisation statt einer Partei.
Egal wie wir die Situation in China einschätzen: es ist nicht alles Demokratie, wo niemand Widerstand leistet. Das ist aber deine Definition von Demokratie.
Die „Argumentatskeule“ „Transparenz ist gut“ schwinge ich aus einem extrem simplen Grund: Ich kann mir keine Meinung bilden, solang ich nicht weiß, wer wie handelt. Ob die „Digitale Gesellschaft“ gut arbeitet, ob sie in meinem Interesse handelt oder nicht, kann ich nur überprüfen, wenn ich ihre Arbeit überprüfen kann. Ich verstehe nicht, wie irgendeine Form von Partizipation ohne Transparenz möglich sein soll.
Dein Artikel fängt gleich mit den wesentlichen Kritikpunkten an: Abgeschotteter Lobbyverein, vertritt mit vermutlich nicht meine Interessen, behauptet es aber zu tun, ermöglicht keine Mitsprache. Auf diese Kritikpunkte gehst du abgesehen von deren Erwähnung im ersten Absatz nicht mal ein.
Mag ja sein, dass die „Digitale Gesellschaft“ für sich ein Instrument geschaffen hat, um auf der „Höhe der Zeit“ zu sein, aber muss dass denn unbedingt eins sein, dass jede Partizipation von vornherein ausschließt?
Ich frage mich , wie du im Bundestag, der aus 600 Mandatsträgern und 10.000 Mitarbeitern besteht erkennen willst, wer was tut..? Oder wie du in einer Partei als Mitglied neben 50.000 anderen glaubst, durch deine Partizipation einen substanziellen Unterschied machen zu können.
Ich hab oben einen Vorschlag gemacht, wie man die „digitale Gesellschaft“ beobachten könnte. Wenn man andere Prämissen und Kriterien wählt als ich, gut.
[…] dass er den Teilnehmern in den einzelnen Kampagnen durchaus Mitspracherechte einräumen wolle. Und Stefan Schulz von den Sozialtheoristen meint darüber hinaus, dass eine Lobbyorganisation alter Schule gerade auf der politischen Ebene der […]
[…] schon gibt’s den Beweis, dass das Net 1.0 gar nicht so anders ist als das Web 2.0: Natürlich gibt’s auch schon einen Thread, in dem bemängelt wird, dass es noch kein […]