Ausgänge aus fremdverschuldeter Alternativlosigkeit?

In der heutigen F.A.S. ist ein interessanter Text über die „Diktatur der Notengeber“. Nach mehreren Jahren Krise wissen wir zwar immer noch nicht, ob es sich nun um eine Wirtschafts-, Politik-, Vertrauens- oder Währungskrise, eventuell in wilder Kombination, handelt, oder ob sie sich vielleicht nicht doch (irgendwann einmal rückblickend) noch als lähmende Zukunfts- oder Mutkrise entpuppt. Eine Einschätzung wird aber landläufig geteilt: Die Ratingagenturen sind schuld. Es ist die Idee des obigen FAS-Textes, diese Idee aufzugreifen, um sie ein bisschen zu entschärfen. Mithilfe eines kurzen historischen Rückblicks wird aufgezeigt, dass die Politik Verlässlichkeit suchte, die sie in institutionalisierten Marktbeobachtern und „Bonitätsprüfern“ fand. Mit dem Argument, dieses System habe sich historisch (und damit zwangsläufig unvorhersehbar) zum heutigen Gebaren entwickelt, ist jedoch nur eins von zweieinhalb auffälligen Strukturmomenten dargestellt, die alle beachtenswert sind. Ich erlaube mir an dieser Stelle eine Ergänzung des Textes, die an Punkt 1: historische Logik aus ihm anschließt.

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Michael Seemann Schreibmaschine

Ich muss gestehen, je mehr Michael Seemann ins Internet schreibt umso mehr bewundere ich ihn für sein Engagement und seine Hartnäckigkeit. Ersteres ist seine Mühe, sein Denken stets schriftlich mitzuprotokollieren, in vielen und langen Texten. Letzteres zeigt sich im bemerkenswerten Umstand, dass seine Texte stets auf dasselbe Plädoyer hinauslaufen unabhängig aller Quellen, die er zitiert; unabhängig aller Phänomene, die er beobachtet.

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Politische Befeuerung

Schon seit einer Weile finde ich es auffällig, dass die nach Fukushima einsetzende Debatte zum Atomausstieg von der Atomkraftlobby gerade dahin gehend ausgebeutet wird, vor den Risiken eines überhasteten Atomausstiegs zu warnen. Strom könne ausfallen, weil das Netz für wechselhaften Ökostrom nicht ausgelegt ist. Das Ausmaß an Investitionen in ein neues Stromnetz könne noch nicht abgesehen werden. Kurzum: Strom wird ausfallen und gleichzeitig teurer werden. Damit sei zu rechnen.

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Das Internet und die Privatmeinung des Einzelnen

Es ist soweit. Das Privatmeinungsinternet macht mir keinen Spaß mehr. Vor nicht langer Zeit habe ich hier den Twitter-Button eingebaut, mit dem man jeden Text direkt vertwittern kann. Ich hatte mich später sogar dafür entschieden, den Button zu nehmen, der die bisherigen Tweets zum Text anzeigen lässt. Doch so macht das keinen Spaß. Nicht, weil ich mich persönlich beleidigt fühle, sondern weil diese Art des sachfernen aber personenspezifischen Werturteils mittlerweile ein prägendes Strukturmoment des Privatmeinungsinternets ist, dem ein konstruktives Pendant (zunehmend) fehlt. Der 140-Zeichen-Widerspruch fällt viel zu leicht, dafür, dass sich (fast) niemand die Mühe macht und Zeit nimmt, sachlichen, konstruktiven Widerspruch zu leisten, wenn gemeint wird, dass Widerspruch erforderlich ist.

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#postprivacy

Man kennt es vielleicht. Man kommt zu einer privaten Party, der Gastgeber hat noch mit letzten Vorbereitungen zu tun und zwei, drei oder vier andere frühe Gäste sind auch schon eingetrudelt. Einen von denen kennt man vielleicht. Die anderen sind einem unbekannt und sich untereinander auch. Was tut man? Man versammelt sich um den Gastgeber in der Küche und sucht nach einem netten Thema, um nicht die ganze Zeit aufs kleine Buffet starren zu müssen. Man hält sich tapfer an seinem Getränk fest und beginnt zu reden, über das Essen, das es geben wird, über die Gäste, die noch erwartet werden, über den Abend, der erst noch passiert. Es ist eine der Situationen, in denen Gesprächsthemen nicht die Probleme der Interaktion sind, sondern die Lösung: Geselligkeit.

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Werber, I am talking to you!

Martin Oetting hält einen Marketingvortrag vor 150 Werbern von Scholz and Friends. Er freut sich, dass sein Vortrag Aufmerksamkeit erregt hat, doch unter all den Gratulanten findet sich meine kleine Kritik, die bei ihm nicht gut ankam. Immerhin habe ich seinen „Paradigmenwechsel“ (den er sich argumentativ aus einem Buch lieh, dass er noch gar nicht gelesen hat) zum Strukturwandel degradiert. Sein Reaktionstext auf meine Kritik fällt entsprechend uneinsichtig aus. Statt sich auf meine Argumente einzulassen, meint er, er arbeitet in einer anderen intellektuellen Sphäre, redete zudem zu Praktikern und außerdem sei das in seiner Welt schon alles so, wie er es im Vortrag bereits erzählte – man müsse zuhören, dann würde sich die Plausibilität seines Weltentwurfes schon ergeben.

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Wie institutionalisiert man Frieden?

Soziale Unruhe in natürlicher Idylle.

Wenn ein Land entscheidet, einen Krieg zu beginnen oder in einen laufenden Krieg einzusteigen, müssen einige Fragen geklärt und Überzeugungsarbeiten geleistet werden. Sind die Gründe gute Gründe? Gäbe es Möglichkeiten Krieg zu vermeiden? Wann und wie soll es losgehen? Egal wie weltpolitisch und historisch überzeugend die Gründe für Krieg sind, jede dieser zu Kriegsbeginn gegebenen Antworten wird wieder aufgegriffen werden, wenn Soldaten in der Heimat zu beerdigen sind. Nur stehen Weltpolitik und Geschichte in diesen Momenten hinter der in erster Linie familiären Trauer zurück.

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Wenn drei sich streiten

Fragestellungen zu politischen Phänomenen sind immer wieder gerade dann besonders interessant, wenn die Politikwissenschaft nicht mehr in der Lage ist, sie zu behandeln. Ich vermute es liegt daran, dass sich Politikwissenschaftler zu wenig als Historiker und zu viel als Berater verstehen. Sie erklären, wie man überall auf der Welt Demokratie herstellen könnte, ohne verstehen zu wollen, was Demokratie im Kern ausmacht. Sie erklären, wie man Korruption bekämpft, ohne verstehen zu wollen, warum es sie gibt. Und sie erklären, wie man die Bindestrichkrise in Europa abwickeln könnte, ohne viele Gedanken dafür zu nutzen, zu verstehen, was von Europa bleibt, wenn „die Krise“ überwunden wäre.

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