Unkenrufe
Krisenzeit ist immer auch Expertenzeit. Und da die Eurokrise, nach einvernehmlicher Meinung der deutschen Medien, die schlimmste und existenziellste Bedrohung der EU seit ihrem Bestehen ist, liegt es nahe, dass insbesondere hier Experten benötigt werden, um dem interessierten Leser bzw. Zuschauer die Dramatik der Krise vor Augen zu führen. Und dies scheint sich für den geneigten Beobachter zu lohnen! Insbesondere dann, wenn es so skurril wird, dass sich Investmentbanker in Reden mit pseudowissenschaftlichem Anstrich genötigt fühlen, die Politik darauf hinzuweisen, dass schnell gehandelt werden muss – und um die Dramatik zu erhöhen auch noch einen fixen Zeitrahmen, in dem gehandelt werden muss, beifügen. Man fragt sich, was wohl passieren würde, wenn Politiker anfingen, Investmentbanker über die Medien hinsichtlich spekulativer Geschäfte auf fallende/steigende Währungen einzelner Länder zu beraten? Man kann also mit einigem Recht fragen, warum gerade dem Milieu der Investmentbanker, das einen nicht unbedeutenden Anteil an der aktuellen Krise hat, kontinuierlich die Möglichkeit gegeben wird, diese im Hinblick auf Lösungsmöglichkeiten öffentlich zu diskutieren? Wahrscheinlich, so die Antwort, weil sich die Massenmedien von diesen Gesprächen tiefgründigere Einschätzungen versprechen, als durch das beliebte Interviewen unbeteiligter Passanten zu erlangen sind. Der Umkehrschluss, dass es oftmals mit dem Verständnis der Krise nicht allzu weit her sein kann, wenn die Leute, die die Krise heute erklären, diese gestern durch anderes Handeln ihrerseits auch hätten verhindern können, verbietet sich von selbst: keine Expertise, keine Interviews.