Als ich Konrad Lischkas Text las, musste ich an Frank Riegers Vortrag denken. Er zeigte nämlich im Mai 2014 das Bild zum Problem. In der fünften Minute zum Thema „Wer soll uns regulieren?“ ist zu sehen, wie aus dem Flickenteppich, der das Internet einst war, die Spielwiese für wenige Megakonzerne wurde. Lange hatte diese Entwicklung nicht gedauert, gerade einmal sechs Jahre. Frei ist das Netz noch, technisch gesehen. Aus sozialer Sicht haben sich aber etliche Ideen nicht bewahrheitet: Digitalisierung ist kein Synonym mehr für Dezentralisierung! Konrad Lischka hat damit recht – inhaltlich und performativ. Uns fehlt diese Einsicht bislang nämlich auch, weil wir eigentlich nie über die Sachverhalte diskutieren.
Nun also doch, zum Titel: „Das Netz verschwindet. Das offene Internet, seine Gegner und wir.“ Der Dreiklang ist merkwürdig überkomplex, schlägt man einen großen Bogen über den Text steht als Fazit nämlich die Feststellung – und zwar als Appell mit eigenem Kapitel –, dass wir das offene Netz sind, beziehungsweise, sein sollten, dass es ohne uns zumindest nur eine Idee bleibt. Und wer sind wir, da wir nicht die Garanten des freien Netzes sind? „Eyeballs“. Dieser brancheninterne, freche Slang der Fernsehmacher erlebte in den Büros der Internetservices längst seine Renaissance.
Wir sind alle nur noch Eyeballs, zurückgelehnte Zuschauer, die zunehmend „Content“ nicht mehr von Werbung unterscheiden können und denen vor allem eins ganz fern ist: Beteiligung. Es gilt heute als fortschrittlich, dass Lehrer ihren Schülern erlauben, die Wikipedia zu zitieren, schreibt Lischka – und fragt: Warum wird in der Schule nicht gelehrt, wie die Wikipedia geschrieben wird? Warum erfährt man nichts über die gestalterische Kraft der OpenStreetMap? Wo wird das Wissen darüber vermittelt, welcher Unterschied zwischen Recherchieren und Googeln liegt, dass es dabei nämlich nicht nur um Antworten auf sachliche Wissenslücken geht, sondern auch um die Unterschiedlichkeit der Wege zum Ziel? Die Produktivität des angestrengten Suchens zählt im Netz, wo wir bequem alles finden wenig.
Konrad Lischka widmet diesen Wegen ein ganzes Kapitel – lesbar als Glossar der Möglichkeiten für Mitbestimmung und Engagement und im Widerspruch zur zuvor behandelten Ausbeutung des Internets durch Unternehmen, die in kleinen Schritten ökonomische Chancen ausreizen und dabei Schneisen der sozialen Verwüstung hinterlassen. Als Handbuch ist der Text daher unbedingt empfohlen, insbesondere für diejenigen, die sich mit diesen Fragen nicht nur für sich, sondern auch für Schüler, Klienten und Schicksalsgenossen beschäftigen.
Dennoch eine kritische Anmerkung zur nicht in Gänze tragfähigen Gegenüberstellung der offenen und geschlossenen Welt. „Bequemlichkeit“ und „Gruppendynamik“ sind starke Kräfte, die die Gesellschaft nicht weniger prägen als Ideen und Engagement. Aber man darf eine dritte Säule nicht übersehen Beispielhaft: Youtube ist häufig nicht nur Mittel der Wahl, weil dort Lock-In-Effekte Publikum generieren und das Reputationsmanagement einfach ist, sondern auch, weil es nichts kostet. Würde man einen 90-Minütigen-HD-Film auf eigene Faust an 35.000 Zuschauer vertreiben wollen, würde die Trafficlast branchendurchschnittlich mit 4000 Euro zu Buche schlagen.
Das heißt konkret: Die digitalen Wege, die dem Jung & Naiv-Team die Möglichkeit schafft, Fragen und Anregungen im Gespräch mit der Bundesregierung entgegenzunehmen und Bundespressekonferenzen in voller Länge zu dokumentieren, stellt derzeit nur Google bereit. Die Dienste des Unternehmens haben Vorsprünge in der Benutzerführung und Funktionalität, aber im Hintergrund werden auch Peering-Konflikte ausgetragen und Server-Technologien entwickelt. Diese Aspekte liegen auch über Open-Source-Umwege nicht in der Hand der Nutzer. Die Dienste der Unternehmen bieten mehr als geregelte Softwareproduktion. Sie betreuen, organisieren und sie verwalten im unternehmerischen, bürokratischen und staatlichen Sinn.
So lässt sich der Kreis zu Frank Riegers Vortrag schließen: Neben allen individuellen Anstrengungen sich mit dem Netz und seinen Möglichkeiten auseinanderzusetzen, die ungemein lehrreich sind und einen Gewinn an Lebensqualität bedeuten, sollte auch darüber diskutiert werden, manche Tatsachen anzuerkennen, beispielsweise, dass Monopole nicht mehr die Ausnahme, sondern der Normalfall sind. Google, Amazon, Apple und Facebook sind nun da und sie betreiben inzwischen einen maßgeblichen Teil unserer alltäglichen Infrastruktur. Aber warum dürfen sie in allen Belangen tun, was (nur) ihnen beliebt?
Warum gibt es keine Diskussion darüber, ob nicht manche Segmente ihrer Geschäfte voneinander getrennt und wenige nicht sogar in staatliche oder genossenschaftliche Obhut genommen werden? Es stimmt nämlich nicht, dass das, was Google und Facebook können, nur diese beiden Unternehmen können. Tatsächlich bewegen sich die Unternehmen nicht weniger unsicher und fragend durch das Internet wie wir Nutzer – nur mit anderen Mitteln. An Googles Konzernumbau lässt sich ablesen, in welchem Rahmen Ziele verändert und Wege neu erforscht werden können.
Vielleicht sind die unternehmerischen Kalküle nicht länger die einzigen, die die Fortentwicklung des Internets bestimmen sollten. Es gibt nicht nur alternative Ideen, sondern auch alternative Player, deren Mitmischen das Netz wieder bereichern könnten. Und in dieser Hinsicht kommt Konrad Lischkas Diskussionsbeitrag – im verflixten siebten Jahr der Netzzentralisierung – zur rechten Zeit. Wir wissen jetzt bescheid und wir sollten in der Tat damit beginnen, Lösungen vorzuschlagen für die Emanzipation im Klein-Klein und für Mitbestimmung im großen Rahmen.
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