Religion, Gott und Glaube, das sind die Schlagworte der Texte, die mich die Woche am meisten interessiert haben. Irgendwie ist Richard Dawkins „Gotteswahn“, ein Buch, das ich aus Prinzip nicht lesen würde, hochgekocht und wurde, wie es das Thema hergibt, kontrovers und teilweise leicht emotional besprochen. Ergebnisse sind: Religion ist Bullshit, Gott ist keine so einfach zu umreißendes Phänomen und: es ist ein interessantes Thema, aber eben nur, solange es Thema bleibt.
Das Problem der Religion ist, das die Gesellschaft nicht ohne sie auskommt und nie ohne sie auskam. Religion ist der, wenn alle anderen Stricke des Weltbildes (Familienzusammenhalt, Karriereplanung, Fitnessplanung, …) reißen, letztlich übrig bleibende, ununterschiedene, absolut gesetzte Rückhalt, den man als Individuum, mit anderen Individuen, findet. Besonders wenn man sich einer unzähmbaren, unsicheren, unstabilen und inkonsistenten gesellschaftlichen Realität gegenüber ausgeliefert sieht.
Das Argument, die Gesellschaft braucht keine Religion mehr, weil es jetzt Wissenschaft gäbe, ist dabei der am häufigsten auftretende Schluss. Dawkins Buch scheint dieses Argument wohl zentral zu stellen. Dabei scheint die gegensätzliche Argumentation viel plausibler. Könne nicht die Wissenschaft gerade als Motor der Religionen verstanden werden? Das, was in der Welt passiert, ist sowieso kaum verständlich. Früher waren es Blitz und Donner, die aus dem Nichts herbeikamen und als Zeichen gedeutet wurden. Heute ist es die Finanzkrise, die Polkappenschmelze und Aids. Es scheint ziemlich offensichtlich, dass es nicht der Mensch ist, der das Ruder in der Hand hat (obwohl er soviel Ursachen beisteuert, hat er letztlich nur wenige der Folgen und Wirkungen im Griff). Es ist irgendeine dunkle Macht, unsichtbare Hand oder sonst was, die uns steuert, muss es ja sein. Niemand kann bestreiten, dass wir den Vorgängen der Welt relativ hilflos ausgeliefert sind. Und obwohl wir wissen, dass die Natur, die Gesellschaft und der Kosmos, tut, was eben ansteht, ohne Plan, Verstand und Vernunft begeben wir uns, die wir mit einem Gedächtnis und Intelligenz ausgestattet sind, auf die Suche nach Bedeutung und Kausalität. Da fängt meiner Meinung nach Religion bereits an. Schon das Aufstellen einer wissenschaftlichen Hypothese kommt nicht ohne solche Art Vorstellung aus. Denn, rational müssten wir sagen: Es ist, wie es eben ist. Aber unsere Intelligenz, die für uns, unsichtbar, am laufenden Band Abkürzungen, Erklärungen, Vereinfachungen, Abstraktionen und Generalisierungen managt und fertig darlegt, gaukelt uns immer wieder Handlungsspielräume und Hellseherkompetenzen vor. Das Einzige, was wir allerdings sicher wissen können (und nicht glauben müssen) ist, dass es erstens anders kommt, und zweitens auch noch anders, als wir denken. Oder: dass alles anders sein und/oder alles anders erzählt werden kann. Nichts ist wahr, nur eben, und besser bekommen wir es nicht hin, nicht unbedingt falsch.
Und das führt direkt zum nächsten Begriff, dem „Glauben“. Vielleicht sollte man zwischen Glauben und „religiösem Glauben“ unterscheiden. Religiöser Glaube ist tatsächlich eine merkwürdige Sache, eben weil man darüber nicht entscheiden kann, es sei denn dagegen. Aber auch hier liegt schon keine Entscheidung mehr vor, sondern nur eine Erklärung. Für religiösen Glauben gibt es keinen Maßstab.
Vom religiösen Glauben abgesehen, finden wir Glauben aber überall in der Gesellschaft. Beispielsweise ist es ein wirtschaftlicher Glaube, dass man sich die Finanzwelt anhand einiger Kennzahlen vergegenwärtigen kann. Oder es ist pädagogischer Glaube, dass Kinder psychisch gesünder leben, wenn sie wenig Playstation spielen. Und es benötigt wissenschaftlichen Glauben, zu argumentieren, dass Gott durch wissenschaftliche Erklärungen entzaubert, erklärt oder ersetzt werden könne. (Als ob das entscheidende bei Gott sein Wesen ist und es Sinn machte zu errechnen, wie lange er im Weltall überlebt und was er da atmet.)
Genau solche Behauptungen, dass ein gesellschaftliches Teilsystem ein anderes ersetzten kann, sind im Übrigen nichts Neues und erst recht nichts Besonderes. Volkswirte glauben, bessere Politiker zu sein. Politiker glauben, bessere Banker zu sein. Lehrer glauben, bessere Prediger zu sein, usw. Immer dann, wenn Akteure eines Teilsystems gerne für andere Teilsysteme oder die ganze Gesellschaft sprechen und genau zu wissen vorgeben, was am ‚richtigsten‘ sei, spricht man von Ideologien. Bisher ist die Wissenschaft, von den politisch angeheizten Klimaforschern abgesehen, kaum durch ideologische Akteure weithin aufgefallen. Sind es doch eher die Juristen, Wirtschaftler und Politiker, die ihre Sache gerne für das große Ganze erklären und ihre Spartenkonzepte für Gesellschaftstheorie halten. Richard Dawkins legt mit seinem Versuch, einen streng wissenschaftlichen Ansatz für die Erklärung von Gott und der Welt zu fahren, mit seinen Arbeiten vor.
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