Die Einführung und Etablierung neuer Verbreitungstechnologien bringt massive gesellschaftliche Veränderungen mit sich. Und die Theorie der Gesellschaft steht in der Folge vor dem Problem, den Veränderungen mit neuen oder modifizierten Begrifflichkeiten Rechnung zu tragen. Problematisch deshalb, weil eine gleichzeitige Veränderung von Theorie und Gesellschaft ein vergleichendes Beobachten unmöglich macht. Ich plädiere daher für eine konservative Anwendung systemtheoretischer Überlegungen zum Funktionssystem der Massenmedien, weil es mir nicht zwingend notwendig erscheint, mit einem massiven Eingriff in theoretische Grundannahmen zu reagieren, um neue Phänomene zu beschreiben.
Ganz konkret möchte ich auf Stefans interessante Ausführungen eingehen. Er schreibt:
Die Einführung des Internets ist ein verheerender Entwicklungssprung. Denn bisher galt: “Die Abnehmer machen sich allenfalls quantitativ bemerkbar: durch Absatzzahlen, durch Einschaltquoten”. (Luhmann, RdM: 34) Dies ist nun anders. Galten bisher qualitative Maßstäbe in den Redaktionen und quantitative Maßstäbe im Absatzmarkt – gelten nun auch in den Absatzmärkten qualitative Maßstäbe, da das Internet einen Rückkanal bereithält, über den dies geleistet werden kann.
Die Folge der Rückkopplung führt zu dem Phänomen, dass plötzlich alle Autoren sind. Das System der Massenmedien kann nicht mehr oder nur noch schwerlich zwischen Leistungs- und Publikumsrollen und Zentrum und Peripherie unterscheiden. Und wenn alle/viele durch Rezeption auch produzieren – nimmt der Umfang an kommunizierter Information zwangsläufig zu.
Geht man weiterhin davon aus, dass die Massenmedien nach wie vor am zentralen Code Information/Nicht-Information festhalten, so ist als erstes festzuhalten, dass zwar jeder potentiell zum Autor werden kann. Aber das bedeutet nicht, dass eine Rückkopplung in dem Sinne gelingt, dass Publikums- und Leistungsrollen verschwimmen und jeder nun potentiell zum dauerhaften und konstanten Massenkommunikator werden könnte. Kein Blogger könnte die Autorität von SPIEGELonline oder der Tagesschau ersetzen, weil die gesellschaftlichen Zuschreibungen auf eben jene Institutionen nicht so fluide sind, wie es in den Großmachtphantasien einiger Blogger ausgemalt wird. Ein qualitativer Ersatz ist nicht in Sicht.
Auch eine quantitative Aggregation eines „Feedback-Channels“ dürfte kaum funktionieren, weil eine massenhafte Kommunikation einzelner Blogger nicht in der Lage sein wird, die Komplexität der mitgeteilten Informationen soweit zu reduzieren, wie es die klassischen massenmedialen Kommunikationen nach wie vor leisten. Wenn einmal eine Welle der Empörung in den Blogs ihren Ursprung hat, ist sie gesellschaftlich übergreifend erst dann relevant, wenn sie in den traditionellen Medien Anschluss gefunden hat. Nur weil 15% der Blogger über ein Thema schreiben, ist es noch lange nicht wichtig.
Dennoch kann man nicht abstreiten, dass sich das System der Massenmedien massiv verändert und auf technische Neuerungen und ihre Implementation in den Alltag reagieren muss. Ich würde hier eher vermuten, dass der zentrale Code nach wie vor stabil funktioniert, aber die Produktionsmöglichkeiten massenmedialer Kommunikation dahingend in eine zunehmend auseinander klaffende Schere geraten, dass auf der einen Seite ein zunehmend großer Teil der Informationen standadisiert reproduziert werden und ein immer geringer Anteil an qualitativ hochwertigen Informationen verbreitet werden, die die Welt, wie wir sie kennen, in einem neuen Licht erscheinen lässt. Dazu zwei Überlegungen:
Vor allem durch die Art der wiedergekäuten und aufbereiteten Informationen des Immergleichen werden zwar an Hand der Nachrichtenwerte konstant Neuigkeiten hervorgebracht, aber die Welt im Prinzip in den immer gleichen Formeln beschrieben. Man kennt das aus der Unterhaltungsindustrie, den nahezu identischen TV-Formaten quer durch alle Kanäle, die floskelhafte Berichterstattung über die Politik und vor allem im Sport, der sich in erster Linie durch quantifizierbare Vergleiche beschreiben lässt. Und da ist es nur konsequent, einen Statistik-Roboter zu programmieren, der es ohne weitere menschliche Hilfe fertig bringt, akzeptable Spielberichte zu produzieren. Das Prinzip der schablonierten Berichterstattung ist auch auf andere Bereiche übertragbar, sobald es gelänge die Selektionsmechanismen einerseits zu standardisieren und auch zu etablieren, sodass sie zuverlässig reproduzierbar werden. Die allgemeine Zunahme an Kommunikationsmüll, der massenmedial produziert wird, schafft dafür die besten Voraussetzungen. Es geht also nicht um Relevanz, sondern um quanititative Entwertung von qualitativer Kommunikation.
Die zweite Überlegung wendet sich nun der anderen Seite zu: Wenn der Absatzmarkt tatsächlich zunehmend zersplittert und der Großteil mit redundanten Quasi-Neuigkeiten versorgt werden kann, wird es für den qualitativ-anspruchsvollen Journalismus schwierig, rentable Absatzmärkte zu finden. Insofern sind die Überlegungen amerikanischer und auch deutscher Medienkonzerne nur die logische Konsequenz: Wer sich exklusive Meinungen und Berichte abseits des Informationsmülls leisten möchte, wird kräftig dafür bezahlen müssen.
Sollte die Schere weiter auseinanderdriften, so muss die soziologische Theorie die Frage beantworten, ob das System der Massenmedien nach wie vor dafür sorgen kann, für ein potentiell unterstellbares, gemeinsam geteiltes Bild von der Welt zu sorgen. Und falls ja, wie und falls nein, warum nicht (mehr)? Für einen Umbau des Codes spricht in meinen Augen jedenfalls wenig.
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