Das Internet macht Spaß, hilft, vereinfacht, beschleunigt, stellt Nähe her, unterhält und informiert. Das Internet kann in seinem gegenwärtigen Zustand als rundum gut bezeichnet und beschrieben werden. Und wer doch was zu mäkeln hat, hat es eben noch nicht richtig verstanden. Aber das Internet hilft auch da weiter, man kann sich mithilfe des Internets über das Internet selbst informieren. Es stellt sich in gewisser Weise ein Anti-Teufelskreis ein. Man muss sich vom Internet nur infizieren lassen, dann findet man es, wie sollte es anders sein, zwangsläufig gut.
Dies scheint der aktuelle Stand der „Diskussion“ zu sein. Jeder Versuch das Internet und seine auffälligen Merkmale mal nicht von der Prämisse „das Internet ist gut“ aus zu beschreiben, muss sich Frechheiten gefallen lassen. Es sind eben die „Schirrmacher dieser Welt“, die die Stimmung vermiesen und sich profilieren, ach ja, und sie sind ja gleichzeitig die Verleger – kein Wunder, dass sie kritisieren.
Aber sind es nicht gerade die Feuilletonisten, die die Aufgabe haben vor Gefahren zu warnen, wo es sonst vielleicht noch niemand tut. Auf die Wissenschaftler hört niemand mehr. Und jetzt werden auch die Feuilletonisten allmählich diskreditiert, als Nicht-Versteher abgestempelt und als Belustigungsfolie genutzt.
Historische Parallelen dieser Art des vereinfachten Gutfindens: Noch 1970 konnte man im Fernsehen als Professor auftreten und behaupten, die Rohstoffe der Erde sind unerschöpflich. Einen Verbrennungsmotor zu benutzen hat nur Vorteile. Bis 1990 konnte man mit gleicher Ernsthaftigkeit und Reputation behaupten, der Kapitalismus würde von einer unsichtbaren Hand geregelt und brauche darüber hinaus keine weitere, erst recht keine menschliche, Einmischung. Waffenbesitz, Atomstrom, Gentechnologie – das alles lässt sich blind feiern. Alle diese Ideologien setzen eine Idee zentral und vergessen, dass es sich nicht um ein Naturgesetz, sondern nur um eine Idee handelt, die ebenso anders lauten könnte.
Es gibt aber nur ein sicheres gesellschaftliches Naturgesetz: Alles hat Gefahren. Nichts auf der Welt entsteht, weil es einfach gut ist, sondern weil die guten Seiten überwiegen. Und es sollte bedenklich stimmen, dass die schlechte Seite des Internets so unerforscht ist. Unbekannt ist sie längst nicht mehr.
Anstatt den x-ten toll aufgemachten Elektrischen Reporter zu gucken sollte man sich lieber den Textwerken des CCC, des FoeBud und der Feuilletons annehmen. Und man sollte nicht zu schnell verzagen, weil die Debatten dort ohne Eigennamen auskommen, also kein Google-Facebook-Apple-Bashing stattfindet, sondern die Strukturen selbst thematisiert werden.
Über die Zeit habe ich festgestellt, dass besonders diejenigen, die über Bande von sich behaupten das Internet verstanden zu haben, am wenigsten verstehen. Dazu zählen Personen wie Nico Lumma, Thomas Knüwer, Jeff Jarvis und viele Weitere.
Wenn man sich davon löst, sich zu freuen, dass Flugzeugunglücke 20 min. schneller auf Twitter als auf den Zeitungswebseiten die Runde machen, kann man sich den ernsten Fragen zuwenden: Wie kann ich eine Zeitung lesen, ohne dass irgendjemand mitbekommt, was ich lese? Wie kann ich Sachen kaufen und dabei mit Bargeld bezahlen, ohne das der Vorgang registriert oder gar gespeichert wird? Wie kann ich erfahren, was meine Bank über mich weiß und wer von meiner Bank Sachen über mich weiß? Wie kann ich sicherstellen, dass meine Darstellung auf meiner Person fußt, anstatt auf der Aggregation von Merkmalen meiner Umwelt? Wie lässt sich die lebensnotwendige Anonymität und Flüchtigkeit auch im Internet herstellen?
(Als großer Fan des Internets und seiner Annehmlichkeiten muss ich sagen, dass mir das Problembewusstsein von Frank Schirrmacher dennoch am realistischsten erscheint. Nur eine Sache muss ich auch bei ihm kritisieren: die ständige Unterscheidung von online und ‚wirklicher‘ Welt. Die finde ich, auch wenn sie nur zur Illustration benutzt wird, immer verschleiernd.)
(Bild: Lars Kristian Flem)
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