Auf der Weltbühne

Gipfeltreffen sind die Hochämter staatspolitischer Inszenierung. Ihr Maximalerfolg liegt im Minimalkonsens. Doch müssen sie deshalb so nutzlos sein, wie viele behaupten? – Die Luzerner Soziologin Bettina Heintz geht der „Unverzichtbarkeit von Anwesenheit“ in globalen Verfahrenssystemen auf den Grund.

Brandenburg statt Hamburg: In „House of Cards“ treffen Claire Underwood und Präsident Petrov auf dem G7-Gipfel bei der deutschen Kanzlerin aufeinander. Foto: David Giesbrecht/Netflix. 

Politischen Weltereignissen wie Gipfeltreffen kann man auch mit größter Anstrengung schwerlich ausweichen. Ihr medialer Niederschlag ist mindestens mit Königs- und Papstkrönungen vergleichbar, wobei zu solchen Anlässen üblicherweise keine Stadtteile in Flammen stehen und die Fernsehfestivitäten nicht gleich tagelang andauern. Ein G20-Gipfel hat seine eigene aufwändige Dramaturgie. Mit Argusaugen blickten die Pressevertreter in Hamburg gewohnt gebannt auf jede scheinbar noch so marginale Kleinigkeit; bloß nichts verpassen, wenn die Mächtigen der Welt samt ihrer Entouragen zusammenkommen. Jede Geste und Bewegung, selbst ein Lidschlag könnten ja zu neuesten Deutungen hinsichtlich Motiven und Absichten des politischen Personals taugen.

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Ironie der Digitalisierung – weswegen Steuerungsphantasien zu kurz greifen

von Stefanie Büchner, Stefan Kühl und Judith Muster

Das Konzept der Digitalisierung gilt in der Wirtschaft als ein neues Heilsversprechen. Digitale Geschäftsmodelle verheißen neue Gewinnchancen. Wenn man sich schon nicht zu ganz neuen Ufern aufmacht, so will man wenigstens die Leistungsreserven der bestehenden Organisation heben. Durch digitale Transformation soll die Automatisierung betrieblicher Prozesse vorangetrieben werden. Die Idee: Je vernetzter und schneller die Prozesse strukturiert sind, desto effizienter und wirtschaftlicher die Wertschöpfung.

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Rein in die Komfortzone

Zu den Klagen der Wirtschaft gehört verlässlich jene über Mangel an Innovation. Nur mangelt es nirgends an guten Ideen. Wohl aber an Bereitschaft, mit dem Unberechenbaren zu rechnen.

Lehrstunde im innovationspolitischen Oberseminar: Auf der Konferenz „digitising europe“ deutet Angela Merkel die Zeichen der Zeit. Foto: Vodafone Institut.

Immer dann, wenn es um die Zukunftsfragen der Wirtschaft geht, ist das Lieblingsthema von Spitzenpolitikern und Konzernchefs die Innovation. Das gilt speziell in Wahlkampfzeiten. Ob von links, rechts oder mittig – wer staatstragend über die Ordnung der Wirtschaft spricht, erwähnt gern das magisch anmutende Signalwort Innovation und alle sich anbietenden Anschlusskompositionen: Man wünscht also „Innovationsfähigkeit“ und „innovationsförderliche“ Weichenstellungen, fordert „Innovationsstrategien“. Man beschwört den „Innovationsstandort“ Deutschland und hofft auf ein besseres „Innovationsklima“. Es fehle an einer Startup-Kultur, heißt es vor allem von Liberalen und Ultradigitalen; kurz: an einer vitalen Gründerszene auch außerhalb der Ballungszentren.

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Zum Niedergang der Piratenpartei

Foto: Andy Nystrom

Vor wenigen Jahren galt die Piratenpartei als die vielversprechendste Neugründung in der Parteienlandschaft. Zielsicher besetzten sie das Thema der Netzpolitik, als manche Politiker anderer Parteien noch dabei beschäftigt waren, zu begreifen, wie ihr Internetanschluss funktioniert. Aber die Euphorie ist schon seit einiger Zeit vorbei. Mit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist die Piratenpartei jetzt aus dem letzten deutschen Landtag geflogen. Sicherlich ‒ die fehlende Repräsentanz in Parlamenten ist allein noch kein ausreichendes Indiz für den Niedergang einer Partei. Aber der erhebliche Verlust von Parteimitgliedern in den letzten Jahren, darunter auch fast die Hälfte ihrer ehemaligen Bundesvorsitzenden, ist ein deutliches Zeichen für eine grundlegende Krise dieser Partei.

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James March. Die Zerlegung des zweckrationalen Modells der Organisation

Foto: Eksergia.fi

Dieser Text basiert auf einem Vortrag über James G. March für Praktiker aus Management und Beratung am 19.5.2017 in Berlin. Weil ich gebeten wurde, zu zeigen, wie ich Überlegungen von March in meiner Reflexion über Management- und Beratungspraxis nutze, finden sich in den Fußnoten Referenzen auf Texte von mir, in denen ich explizit Überlegungen von March aufgreife.

1.    Die Grenzen des zweckrationalen Modells der Organisation

Das unter Managern und Beratern populäre zweckrationale Verständnis von Organisationen hat auf den ersten Blick eine bestechende Logik. Auf der Basis der Analyse der Umweltbedingungen soll der übergeordnete Zweck der Organisation bestimmt und die verschiedenen Mittel zu dessen Erreichung abgeleitet werden. Dabei sollten die möglichen Mittel in Bezug auf Vor- und Nachteile ausführlich analysiert werden, um so den Weg bestimmen zu können, mit dem der übergeordnete langfristige Zweck am besten erreicht werden kann. Die Mittel werden dann operationalisiert, und es werden quantitative Vorgaben formuliert, Meilensteine definiert und Aktionspläne aufgestellt, deren Erreichung durch das Management regelmäßig kontrolliert wird.[1]

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Jenseits eines Potpourris von Plattitüden. Zur Forderung des Wissenschaftsrates nach „Lehrverfassungen“ an den Hochschulen

von Stefan Kühl, Ines Langemeyer, Gabi Reinmann und Marcel Schütz

Foto: Andrew Sweeney

Der Wissenschaftsrat, das zentrale wissenschaftspolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern, fordert in seinem aktuellen Positionspapier „langfristig und systemweit“ angelegte „Strategien für die Hochschullehre“. „Exzellenzwettbewerbe“, so die Überlegung, könnten zukünftig auch die bislang zu wenig beachtete Lehre veredeln. In staatstragender Manier werden dafür hochschuleigene „Lehrverfassungen“ vorgeschlagen. Jede einzelne Hochschule möge für sich entdecken, wie sie „ihren regionalen Standort, ihre Größe, ihre unterschiedlichen Zielgruppen, Kooperationspartner oder fachlichen Schwerpunkte strategisch“ am besten nutzen kann.[1] Vision des Wissenschaftsrats ist die umfassend „strategiefähige“ Hochschule. Weiterlesen →

Weswegen der Verweis auf „Führungsschwäche“ das Problem der Bundeswehr nicht trifft. Die Skandale bei der Bundeswehr als ungewollte Nebenfolgen von Kameradschaftserwartungen

Foto: Robert Thomson 3. Mai 2017

Angesichts der Gewaltrituale bei der Ausbildung von Soldaten in der Staufer-Kaserne im baden-württembergischen Pfullendorf, entwürdigender Strafmaßnahmen bei einem Gebirgsjägerbataillon in Bad Reichenhall und der fast schon skurril anmutenden Anschlagpläne eines sich als syrischer Flüchtling tarnenden rechtsextremen Bundeswehrsoldaten scheinen sich alle Beobachter einig zu sein, dass es bei der Bundeswehr ein „Haltungsproblem“ gibt. Heftig gestritten wird lediglich über die Frage, wer für dieses „Haltungsproblem“ verantwortlich ist – die verschiedenen Führungsebenen der Bundeswehr, wie die Verteidigungsministerin in ihrer missglückten Stellungnahme erklärte, oder die Verteidigungsministerin selbst, wie von Politikern anderer Parteien betont wird.

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Das Transparenzparadox – Weswegen Organisationen gleichzeitig transparenter und weniger transparent werden können

Foto: Tatsuo Yamashita 2017.5.11

Gesetzeswidriges Verhalten von Organisationen wird in den seltensten Fällen bekannt. Wenn aber ein Gesetzbruch bekannt wird – man denke nur an die kreative Senkung der Abgaswerte bei VW durch Innovationen bei der Steuerungssoftware, die Verkaufsförderung durch Schmiergeldzahlungen bei Siemens oder die Motivationssteigerung von Außendienstmitarbeitern der Hamburg-Mannheimer durch gemeinsame Bordellbesuche ‒, reichen Bekenntnisse zur Besserung nicht aus. Die Organisationen müssen zu einschneidenden Strukturmaßnahmen greifen, um zu signalisieren, dass man ernsthaft bemüht ist, die Gesetzesbrüche abzustellen.

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Der Mythos der Digitalisierung – Der Kurzschluss bei der Diskussion über digitale Transformation

Stefanie Büchner, Stefan Kühl, Judith Muster

Bild:  presigeol

Glaubt man der Management- und Beratungsrhetorik, dann führt die zunehmende Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen dazu, dass in Unternehmen kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Die Möglichkeiten zur Verarbeitung immer größerer Datenmengen, die Fortschritte in der Robotik und die bahnbrechende Entwicklung in der Schaffung künstlicher Intelligenz führe, so der Tenor, zu weniger Planbarkeit in Unternehmen. Erforderlich seien neue agilere Organisationen, in denen Mitarbeiter jenseits von Abteilungen zusammenarbeiten können. Die Rede ist von nicht weniger als einer Revolution, die in den Unternehmen stattzufinden hat.[1]

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Die Störung des Selbstbetrugs. Wie Gesetzesverstöße von Unternehmen entstehen

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Bildnachweis: Missouri State Archive

Branson, MO (MSA)

 

Als Reaktion auf den Abgas-Skandal wird bei Volkswagen das Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“ reaktiviert – als ob sich ein Großkonzern nach einem solchen Prinzip führen ließe. Das Konzept heißt „ehrbarer Kaufmann“ und eben nicht „ehrbarer Konzern“: Aktionäre erwarten in dem durch freie Finanzmärkte geprägten Kapitalismus, dass Konzerne ihre Unternehmenspolitik auf Gewinnmaximierung ausrichten und nicht an einem bestenfalls für Personen geeigneten Konzept der Ehre. Moral spielt in Konzernen nur dann eine Rolle, wenn sie entweder von Mitarbeitern in Schlüsselpositionen zum Thema gemacht wird oder wenn wichtige Kunden die Orientierung an moralischen Aspekten einfordern. Fragen der Moral treten in Konzernen dann in Erscheinung, wenn sich wirtschaftlich relevante Tatsachen wie Umsatzeinbußen oder Effizienzverluste einstellen oder wenn es klare gesetzliche Vorgaben gibt, deren Einhaltung mit Verweis auf empfindliche Strafen auch durchgesetzt wird.

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Die Sehnsucht nach einer Leitkultur – Was CDU und CSU von der Diskussion über Leitbilder in Organisationen lernen könnten

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Unter Führungskräften ist es angesagt, den Mitarbeitern Leitkulturen zu verordnen. Es werden wohlklingende Leitbilder verabschiedet in der Hoffnung, das Handeln in der Organisation möge sich an ihnen ausrichten. In eigens einberufenen Workshops werden die Mitarbeiter aufgefordert, über das von der Organisationsspitze verabschiedete Leitbild zu reflektieren und ihr Handeln darauf einzustellen. Das neueste Papier der bayerischen CSU und der sächsischen CDU zu einer „Leit- und Rahmenkultur“ zeigt nun, dass auch einige Politiker die Hoffnung hegen, man könne ‒ ähnlich wie Firmen ihre Mitglieder über Leitbilder anleiten ‒ auch Bürger und deren Handlungen über ein solches Leitbild beeinflussen.

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Zeitdiagnosen 4.0

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Ein Trend zu Neuem ist nicht zu übersehen. Im monatlichen Rhythmus werden neue technische Epochen, innovative Organisationsformen oder gleich neuartige Gesellschaftsformationen ausgerufen. Berater versuchen über schnell hingeworfene Zeitdiagnosen, ihre Angebote zu vermarkten, Wissenschaftler geben ihren Forschungen darüber eine massenmediale Bedeutung und Politiker versuchen, darüber Themen zu setzen.

In der Vergangenheit wurden Zeitdiagnosen noch so formuliert, dass man genau wusste, worum es ging. Es war die Rede von der „Industriegesellschaft“, der „Dienstleistungsgesellschaft“ oder der „Erlebnisgesellschaft“; verkündet wurde der Trend zur „Matrix Organisation“, zum „Lean Management“ oder zum „Business Process Reengineering“. Aber schon an der Popularität der Vorsilbe „post“ in der Bezeichnung manches neuen Trends konnte man erkennen, dass sich die Zeitdiagnostiker immer weniger trauten, ihre Analysen mit einem präzisen Begriff zu bezeichnen. Begriffe wie postindustrielle Gesellschaft, postfordistisches Unternehmen oder postbürokratische Organisationen suggerieren zwar eine grundlegende Veränderung, lassen aber offen, was sich genau verändert. Und es hat eine gewisse ungewollte Ironie, wenn inzwischen wissenschaftliche Konferenzen veranstaltet werden, auf denen danach gefragt wird, was nach der postbürokratischen Organisation oder nach dem postfordistischen Unternehmen komme.

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