Anmerkungen zu: Stefan Kühl (2024), Organisationen im Labor: Grenzen der Simulation von Formalität in gruppendynamischen Trainings, Wiesbaden: Springer VS Verlag, 52 Seiten.

Andreas Amann, Oliver König, Karl Schattenhofer

Vorbemerkung

Stefan Kühl hat in den vergangenen Jahren wiederholt informative und weiterführende Beiträge geliert zum Systemtyp Gruppe und der Schwierigkeit, diesen in der systemtheoretischen Theoriekonstruktion zu verankern. Quasi als Nebenprodukt thematisiert er dabei immer mal wieder das psychosoziale Verfahren, das auf diesen Systemtyp abzielt, die Gruppendynamik. Im Unterschied zu seinen sonstigen Arbeiten kommen Kühls Anmerkungen hierbei nie ohne polemischen Unterton aus. Vor allem aber konstruieren sie einen Gegenstand „gruppendynamisches Training“, in dem wir unsere Arbeit, sowohl theoretisch-konzeptionell wie praktisch, kaum wiedererkennen. Der letzte Beitrag dieser Art ist der oben aufgeführte Titel Organisationen im Labor in der Reihe Essentials, laut Springer Verlagswerbung „Kompaktes Wissen für unterwegs“. Er hat uns zur vorliegenden Reaktion veranlasst.

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Familienunternehmen – Ein hartnäckiger Mythos und seine Funktion für die Darstellung von Organisationen

„[…] die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“

(Hegel 2009 [1820]: 16)

Die Entzauberung der Welt hätte schon ihr Ende nehmen können, als namenhafte Wissenschaftler herausfanden, dass es Gott nicht gibt (Nietzsche 2013 [1887]: 135). Doch damit gaben sie sich nicht zufrieden. Später zeigten sie uns auch noch, dass Filterblasen im Internet nicht existieren (Törnberg 2022) und, als wäre das noch nicht genug gewesen, sie nahmen uns sogar die Generationen X, Y und Z (Schröder 2018). Solche Enthüllungen erzeugen oft starke Verwunderung. Denn, sobald man einen Begriff von etwas hat, meint man es auf einmal auch überall beobachten zu können. Erwartungen strukturieren die Wahrnehmung (Weick 1995: 223). Wer einen Hammer in der Hand hält, für den sieht jedes Problem aus wie ein Nagel. Und wer eine familientherapeutische Ausbildung im Kopf hat, für den sieht jedes Entscheidungsproblem aus wie ein Vater-Sohn-Konflikt.

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Persönliche Netzwerke in der deutschen Theaterlandschaft. Soziologische Ideen zum Streit am Thalia Theater

Foto: Isabel Machado Rios

Rund um die Vorstellung der neuen Spielzeit 2024/25 des Hamburger Thalia Theaters kam es jüngst zu einem kleinen Aufschrei: Der Verein „Pro Quote Bühne“ beklagt die Auswahl der Inszenierenden mit dem Verweis darauf, dass in der neuen Spielzeit nur eine Frau* inszeniere und fordert einen Boykott.[1] Auf dem Portal nachtkritik.de wurde in der Folge ein Streitgespräch zwischen dem scheidenden Thalia-Intendanten Joachim Lux und Kerstin Steeb vom Verein „Pro Quote Bühne“ veröffentlicht.[2] Am Stillstand der Konversation lässt sich ein grundsätzlicher Widerspruch der deutschen Theaterlandschaft ablesen.

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„Keine Steine!” – über die Entscheidungsprobleme der Aktivist*innen in Lützerath

Die Räumung Lützeraths ist vorbei; die Diskussion um das Geschehene allerdings noch lange nicht. Ein Protestmittel, welches besonders seit Beginn der Proteste die Bilder prägte und in der Kritik stand, waren Steine. Steine, die auf das Einsatzpersonal der Polizei flogen. Nicht nur Polizei und Politiker*innen verurteilten dies scharf. Laut Videos in den sozialen Medien riefen auch die Protestierenden immer wieder „Keine Steine!“, sobald diese in Richtung Einsatzpersonal flogen.

Friedlichkeit siegt

Warum versuchten auch die Prostierenden aktiv, dies zu unterbinden? Für die Protestbewegung bedeuteten diese Steine neben ihrer moralischen Verwerflichkeit vor allem eins: Erfolgsgefahr. Proteste leben von der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Aktionen, die skandalisieren und viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sind ihr Lebenselixier. Überraschende Aktionen mit viel Masse und Wucht sind ihre Spezialität. Prägen Bilder von Gewaltaktionen – wie hier die fliegenden Steine – das Image der Proteste in den Massenmedien, besteht die Gefahr, Solidarität in der Bevölkerung zu verlieren. Doch diese ist essenziell für den Erfolg von Protestbewegungen. Bestenfalls müssen Proteste also die Entscheidung treffen, lediglich friedlichen Widerstand zu leisten, um keine Körperverletzung von Einsatzpersonal und womöglich Aktivist*innen zu riskieren. Und hier wird es spannend: Warum fällt diese Entscheidung der Protestbewegung so schwer? Der Grund liegt nicht etwa am mangelnden Willen oder der Qualität eines Protests. Er liegt in seiner Struktur.

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Verstrickung zum Frühstück

Die Neuverfilmung der Wannseekonferenz. Bild: ZDF.

Die Konferenz am Berliner Wannsee vor 80 Jahren hat an Schrecken nichts eingebüßt. Das liegt auch daran, dass ihr organisatorisches Verfahren in der Gegenwart noch eigentümlich vertraut ist.

In dieser Woche lief im ZDF eine neue Verfilmung der Wannseekonferenz, jenem Schlüsselereignis vom 20. Januar 1942, das die Deportation und Tötung der gesamten europäischen Juden, geschätzte 11 Millionen Menschen, „nach dem Osten“ zum Ziel hatte; selbst aus solchen Gebieten, die sich zum Zeitpunkt der Planung gar nicht in den Grenzen des angeeigneten Reichs befanden, aber für die künftige Eroberung schon eingeplant waren: England und sogar die neutrale Schweiz. Europa im Ganzen sollte „judenfrei“ werden. Die Judenvernichtung war zu diesem Zeitpunkt aber längst beschlossene Sache und fand de facto in den Ostgebieten bereits umfangreich statt. Keineswegs ging es daher auf der Konferenz noch um eine generelle Entscheidung in dieser Frage. Die Konferenz sollte vielmehr die logistische, organisatorische und rechtliche Abwicklung in nun allerdings kontinentalem Maßstab anstoßen – Zuständigkeiten, Transportwesen, zeitliche und räumliche Aspekte, Kategorisierung von „jüdischen Mischlingen“ und Mischehen.

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Das Scheitern der Moralphilosophie an der Organisationsfrage

Rezension zu Lisa Herzog (2021): Das System zurückerobern. Moralische Verantwortung, Arbeitsteilung und die Rolle von Organisationen in der Gesellschaft. Darmstadt: wbg academics

Moral spielt in den Diskursen von Organisationen eine immer wichtigere Rolle. Ministerien bekennen sich in ihren Selbstdarstellungen zur Nachhaltigkeit. Verwaltungen propagieren Diversität als einen zentralen Wert ihrer Personalpolitik. Unternehmen propagieren – ganz im Sinne des Diskurses über neue Organisationsformen – dass sie der Arbeit ihrer Mitarbeiter einen Sinn geben wollen.

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Auskühlung – Über das Management von Erwartungen in Organisationen

Die Aussicht auf Aufstieg ist ein zentrales Motiv dafür, dass sich Personen über das formal erwartete engagieren. Die Möglichkeit auf eine studentische Hilfskraftstelle kann Studierende dazu motivieren, sich bei einzelnen Lehrenden besonders ins Zeug zu legen. Die Hoffnung auf eine Karriere in einem Unternehmen können Mitarbeiter dazu verleiten, Aufgaben zu übernehmen, die in der Stellenbeschreibung nicht vorgesehen sind.

Diese Motivationswirkung von in Aussicht gestellten Aufstiegen kann strategisch eingesetzt werden. Eine Dozentin lobt einen Studenten, der vielleicht noch gar nichts von seinen Fähigkeiten ahnt, und stellen die Unterstützung bei seiner wissenschaftlichen Karriere in Aussicht. Die Vorgesetzte in einem Unternehmen weist ihre Mitarbeiterin, die vielleicht erst einmal nur auf der Suche nach einem gut bezahlten Job war, auf die verschiedenen Karrierestufen einer Organisation hin, und erzeugt so einen zusätzlichen Motivationsschub. In der Soziologie wird dieses Phänomen der Weckung von Leistungsmotivationen bei Personen, die sich ihres Potenzials selbst nicht bewusst waren, als „Aufwärmung“ bezeichnet.[1]

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Stabsstellen: Allzweckwaffen oder Feigenblätter?

Bild: Sustainable Economies Law Center (CC BY-SA 2.0, via flickr)

 

Stabsstellen gibt es in (Hochschul-)Verwaltungen mittlerweile zu den unterschiedlichsten Themen: Umwelt, Diversität, Internationalisierung usw. Aber sind diese Stellen wirklich Treiber von Veränderungen oder handelt es sich vielmehr um elegante Feigenblätter? Der Beitrag untersucht Möglichkeiten und Hindernisse von Stabsstellen.*

Seit einigen Jahren wird es immer voller in den Leitungsetagen von Hochschulen. Um als modern wahrgenommen zu werden, müssen Hochschulen sich um mehr und mehr Aufgaben kümmern: Organisationsentwicklung, Internationalisierung, Diversität, Umwelt- und Klimaschutz, Familienfreundlichkeit, Digitalisierung, Transfer von Wissen oder Wissenschaftskommunikation. In diesem Zusammenhang hat eine Art von Stellen einen besonderen Zuwachs in Hochschulverwaltungen erfahren: die Stabsstelle.

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Rezension: Professor*in für Anfänger*innen und Fortgeschrittene. Tipps für (angehende und aufbauende) Profs

Bild: Professors, by Raul Pacheco-Vega (CC BY-NC-ND 2.0)

 

Die Nachfrage nach Ratgebern scheint mit Zunahme von gesellschaftlicher Komplexität zu wachsen. Es gibt sie mittlerweile zu allen erdenklichen Themen. Und so gibt es auch diverse Ratgeber für den Hochschulbereich. Allerdings sind die Hinweise und Tipps – mit wenigen Ausnahmen – recht oberflächlich. Der Grund dafür ist einfach: Sie unterschlagen die für den organisationalen Alltag so wichtige informale Seite der Organisation. Der Bildungspsychologe Thomas Götz macht in seinem gerade in zweiter Auflage erschienene Ratgeber „Professor*in für Anfänger*innen und Fortgeschrittene. Tipps für (angehende und aufbauende) Professor*innen“ vieles besser.*

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Schattenorganisationen

Zur Ausbildung informale Strukturen in holakratischen Unternehmen

Als typische Probleme klassischer Organisationen werden von Holakraten unproduktive Machtkämpfe, die alltäglichen Küngeleien und die vorrangige Informationsweitergabe über Buschfunk angesehen. Neben den formalen bildeten sich in klassischen Organisationen, so deren Beobachtung, immer auch vielfältige informale Strukturen aus, die häufig nicht thematisiert werden könnten (siehe dazu Rüther 2018, 9f.).[1]

Das Versprechen der Holakraten ist, dass in ihrem Organisationsmodell durch die permanente Optimierung der formalen Erwartungen die formale und die informale Struktur weitgehend deckungsgleich gemacht werden können.[2] Statt eines formalen Organigramms, das lediglich auf dem Papier existierte, und einem informalen Organigramm, das zeigen würde, wie die Organisation real existiert, gäbe es dann nur noch ein für alle verbindliches formales Organigramm (siehe dazu Groth 2013).[3]

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Reinhard Höhns Gemeinschaftskonzeption – Das Erleben der Gemeinschaft im Kleinen

Teil 2/2

Während die Vorstellung einer umgreifenden, völkisch-nationalen Gemeinschaft seit Beginn der Machtübernahme zu einer primären Zielstellung des Regimes avancierte (Wildt 2014: 53), propagierte Höhn – und im Übrigen auch eine Vielzahl anderer, gleichgesinnter (vor allem junger) Akademiker (Chapoutot 2016: 15; Stolleis 1972) – im Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Gesellschaftsplan die Unerlässlichkeit des gemeinschaftlichen Erlebnisses in kleineren Sozialeinheiten (Lelle 2016: 212). Die Zugehörigkeit eines jeden »Volksgenossen« zu verschiedenen Gemeinschaften gehörte in diesem Rahmen als selbstverständlich an, weil die erfolgreiche Formung der übergeordneten Volksgemeinschaft einzig auf Grundlage eines im sozialen Leben weit – oder gar umfänglich – verbreiteten »Gemeinschaftsgeistes« gelingen konnte (Höhn 1934: 12f.; siehe auch Luks 2015: 87). Solche Erfahrungen ließen sich jedoch, so das Argument des Staatstheoretikers, nicht als alleinstehendes Individuum, sondern lediglich als Glied einer Gemeinschaft machen (Höhn 1934: 9, 15f.; 1935: 11ff., 63, 78).

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Starrheit der holakratischen Organisationsprinzipien

Wie man sich Flexibilität im Kleinen durch Inflexibilität im Großen verschafft

Der Anspruch des holakratischen Organisationsmodells ist, dass die formale Struktur durch einen von unten getriebenen Formalisierungsprozess permanent angepasst werden kann. Durch die einfache Veränderung des Zuschnitts von Rollen und Kreisen sowie deren Aufgaben soll es möglich sein, sich schnell an verändernde Bedingungen anzupassen. Eine inkrementale Verbesserung der formalen Struktur auch angesichts sich permanent verändernder Rahmenbedingungen soll das Ergebnis sein.[1]

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