Jenseits eines Potpourris von Plattitüden. Zur Forderung des Wissenschaftsrates nach „Lehrverfassungen“ an den Hochschulen

von Stefan Kühl, Ines Langemeyer, Gabi Reinmann und Marcel Schütz

Foto: Andrew Sweeney

Der Wissenschaftsrat, das zentrale wissenschaftspolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern, fordert in seinem aktuellen Positionspapier „langfristig und systemweit“ angelegte „Strategien für die Hochschullehre“. „Exzellenzwettbewerbe“, so die Überlegung, könnten zukünftig auch die bislang zu wenig beachtete Lehre veredeln. In staatstragender Manier werden dafür hochschuleigene „Lehrverfassungen“ vorgeschlagen. Jede einzelne Hochschule möge für sich entdecken, wie sie „ihren regionalen Standort, ihre Größe, ihre unterschiedlichen Zielgruppen, Kooperationspartner oder fachlichen Schwerpunkte strategisch“ am besten nutzen kann.[1] Vision des Wissenschaftsrats ist die umfassend „strategiefähige“ Hochschule. Weiterlesen →

Weswegen der Verweis auf „Führungsschwäche“ das Problem der Bundeswehr nicht trifft. Die Skandale bei der Bundeswehr als ungewollte Nebenfolgen von Kameradschaftserwartungen

Foto: Robert Thomson 3. Mai 2017

Angesichts der Gewaltrituale bei der Ausbildung von Soldaten in der Staufer-Kaserne im baden-württembergischen Pfullendorf, entwürdigender Strafmaßnahmen bei einem Gebirgsjägerbataillon in Bad Reichenhall und der fast schon skurril anmutenden Anschlagpläne eines sich als syrischer Flüchtling tarnenden rechtsextremen Bundeswehrsoldaten scheinen sich alle Beobachter einig zu sein, dass es bei der Bundeswehr ein „Haltungsproblem“ gibt. Heftig gestritten wird lediglich über die Frage, wer für dieses „Haltungsproblem“ verantwortlich ist – die verschiedenen Führungsebenen der Bundeswehr, wie die Verteidigungsministerin in ihrer missglückten Stellungnahme erklärte, oder die Verteidigungsministerin selbst, wie von Politikern anderer Parteien betont wird.

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Das Transparenzparadox – Weswegen Organisationen gleichzeitig transparenter und weniger transparent werden können

Foto: Tatsuo Yamashita 2017.5.11

Gesetzeswidriges Verhalten von Organisationen wird in den seltensten Fällen bekannt. Wenn aber ein Gesetzbruch bekannt wird – man denke nur an die kreative Senkung der Abgaswerte bei VW durch Innovationen bei der Steuerungssoftware, die Verkaufsförderung durch Schmiergeldzahlungen bei Siemens oder die Motivationssteigerung von Außendienstmitarbeitern der Hamburg-Mannheimer durch gemeinsame Bordellbesuche ‒, reichen Bekenntnisse zur Besserung nicht aus. Die Organisationen müssen zu einschneidenden Strukturmaßnahmen greifen, um zu signalisieren, dass man ernsthaft bemüht ist, die Gesetzesbrüche abzustellen.

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Der Mythos der Digitalisierung – Der Kurzschluss bei der Diskussion über digitale Transformation

Stefanie Büchner, Stefan Kühl, Judith Muster

Bild:  presigeol

Glaubt man der Management- und Beratungsrhetorik, dann führt die zunehmende Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen dazu, dass in Unternehmen kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Die Möglichkeiten zur Verarbeitung immer größerer Datenmengen, die Fortschritte in der Robotik und die bahnbrechende Entwicklung in der Schaffung künstlicher Intelligenz führe, so der Tenor, zu weniger Planbarkeit in Unternehmen. Erforderlich seien neue agilere Organisationen, in denen Mitarbeiter jenseits von Abteilungen zusammenarbeiten können. Die Rede ist von nicht weniger als einer Revolution, die in den Unternehmen stattzufinden hat.[1]

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Die Störung des Selbstbetrugs. Wie Gesetzesverstöße von Unternehmen entstehen

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Bildnachweis: Missouri State Archive

Branson, MO (MSA)

 

Als Reaktion auf den Abgas-Skandal wird bei Volkswagen das Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“ reaktiviert – als ob sich ein Großkonzern nach einem solchen Prinzip führen ließe. Das Konzept heißt „ehrbarer Kaufmann“ und eben nicht „ehrbarer Konzern“: Aktionäre erwarten in dem durch freie Finanzmärkte geprägten Kapitalismus, dass Konzerne ihre Unternehmenspolitik auf Gewinnmaximierung ausrichten und nicht an einem bestenfalls für Personen geeigneten Konzept der Ehre. Moral spielt in Konzernen nur dann eine Rolle, wenn sie entweder von Mitarbeitern in Schlüsselpositionen zum Thema gemacht wird oder wenn wichtige Kunden die Orientierung an moralischen Aspekten einfordern. Fragen der Moral treten in Konzernen dann in Erscheinung, wenn sich wirtschaftlich relevante Tatsachen wie Umsatzeinbußen oder Effizienzverluste einstellen oder wenn es klare gesetzliche Vorgaben gibt, deren Einhaltung mit Verweis auf empfindliche Strafen auch durchgesetzt wird.

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Die Sehnsucht nach einer Leitkultur – Was CDU und CSU von der Diskussion über Leitbilder in Organisationen lernen könnten

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Unter Führungskräften ist es angesagt, den Mitarbeitern Leitkulturen zu verordnen. Es werden wohlklingende Leitbilder verabschiedet in der Hoffnung, das Handeln in der Organisation möge sich an ihnen ausrichten. In eigens einberufenen Workshops werden die Mitarbeiter aufgefordert, über das von der Organisationsspitze verabschiedete Leitbild zu reflektieren und ihr Handeln darauf einzustellen. Das neueste Papier der bayerischen CSU und der sächsischen CDU zu einer „Leit- und Rahmenkultur“ zeigt nun, dass auch einige Politiker die Hoffnung hegen, man könne ‒ ähnlich wie Firmen ihre Mitglieder über Leitbilder anleiten ‒ auch Bürger und deren Handlungen über ein solches Leitbild beeinflussen.

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Rezension zu: Sprenger, Reinhard K. (2015): Das anständige Unternehmen. Was richtige Führung ausmacht – und was sie weglässt. München: DVA

Arbeitswelt

Seit seinem Bestseller „Mythos Motivation“ schreibt Reinhard Sprenger immer wieder das gleiche Buch, aber das ganz hervorragend. Ob man nun seine Bücher „Radikal führen“, „Das Prinzip Selbstverantwortung“, „Die Entscheidung liegt bei Dir“, „Aufstand des Individuums“ oder das gerade erschienene Werk „Das anständige Unternehmen“ nimmt – das Argument ist immer das gleiche. Die Unternehmen sollten aufhören, ihre Mitarbeiter zu infantilisieren, zu therapieren und zu vereinnahmen, sodass die Mitarbeiter selbst Verantwortung übernehmen könnten. Das würde viel eher zum Erfolg des Unternehmens beitragen als die vielen übergriffigen aktuellen Führungstechniken und Personalentwicklungsmaßnahmen. Er richtet sich damit gegen die Gutmensch-Prosa in den Leitbildern von Unternehmen, die häufig an religiöse Großveranstaltungen erinnernden salbungsvollen Managementansprachen oder die Maßnahmen zur Corporate Social Responsibility, die letztlich häufig nichts anderes seien als ein luxurierendes Wohltätigkeits-Schaulaufen (S. 359).

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Zeitdiagnosen 4.0

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Ein Trend zu Neuem ist nicht zu übersehen. Im monatlichen Rhythmus werden neue technische Epochen, innovative Organisationsformen oder gleich neuartige Gesellschaftsformationen ausgerufen. Berater versuchen über schnell hingeworfene Zeitdiagnosen, ihre Angebote zu vermarkten, Wissenschaftler geben ihren Forschungen darüber eine massenmediale Bedeutung und Politiker versuchen, darüber Themen zu setzen.

In der Vergangenheit wurden Zeitdiagnosen noch so formuliert, dass man genau wusste, worum es ging. Es war die Rede von der „Industriegesellschaft“, der „Dienstleistungsgesellschaft“ oder der „Erlebnisgesellschaft“; verkündet wurde der Trend zur „Matrix Organisation“, zum „Lean Management“ oder zum „Business Process Reengineering“. Aber schon an der Popularität der Vorsilbe „post“ in der Bezeichnung manches neuen Trends konnte man erkennen, dass sich die Zeitdiagnostiker immer weniger trauten, ihre Analysen mit einem präzisen Begriff zu bezeichnen. Begriffe wie postindustrielle Gesellschaft, postfordistisches Unternehmen oder postbürokratische Organisationen suggerieren zwar eine grundlegende Veränderung, lassen aber offen, was sich genau verändert. Und es hat eine gewisse ungewollte Ironie, wenn inzwischen wissenschaftliche Konferenzen veranstaltet werden, auf denen danach gefragt wird, was nach der postbürokratischen Organisation oder nach dem postfordistischen Unternehmen komme.

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Das Ingenieur-Rätsel

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Weswegen sich so viele Ingenieure unter den islamistischen Terroristen finden und weswegen ein Blick auf die Sozialstruktur allein zu kurz greift

Terroristische Anschläge scheinen in der Öffentlichkeit den Reflex auszulösen, sich die religiöse Sozialisation, die Bildungswege, die Berufstätigkeiten, die kriminellen Karrieren, den Familienhintergrund, die sexuellen Präferenzen, die psychiatrischen Krankengeschichten, die Gewohnheiten in puncto Drogenkonsum oder Computerspiel-Frequenz der Attentäter anzusehen ‒ wohl in der Hoffnung, über die Verortung der Attentäter in der Sozialstruktur Aufklärung über ihre Motive zu erhalten und somit zukünftig Anschläge von Personen mit ähnlichen sozialstrukturellen Merkmalen verhindern zu können.

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Die „Verorganisierung“ des Islamismus

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Was man aus der Bewegungsforschung über den Islamischen Staat lernen kann

Die Selbstbezeichnung „Islamischer Staat“, die sich die Islamisten in Syrien und im Irak gegeben haben, prägt die aktuelle Diskussion. Der Fokus ist auf ein dschihadistisches Staatsbildungsprojekt gerichtet, dessen Werte auch für Islamisten aus anderen Teilen der Welt interessant zu sein scheinen und deswegen zu einer Radikalisierung von Islamisten außerhalb Syriens und des Irak führen. Bei der Diskussion über die Staatlichkeit des Dschihadismus wird jedoch ein Aspekt übersehen, der für die Bekämpfung des islamistischen Terrors in Europa zentraler ist: Die zunehmende „Verorganisierung“ der islamistischen Bewegung.

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Motivationsverdrängungseffekt – Die perverse Wirkung von Leistungsanreizen in der Wissenschaft

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Von der Lektüre von Managementliteratur kann man Hochschulleitungen nur abraten – zu groß sind die sprachlichen Zumutungen, die man beim Lesen ertragen muss, zu simpel ist in der Regel das zugrunde liegende Organisationsverständnis, zu grundlegend sind die Unterschiede von Hochschulen zu Unternehmen, für die die meisten Rezepte erarbeitet wurden. Angesichts der aktuellen Diskussion über die leistungsorientierte Mittelvergabe in der Wissenschaft könnte man jedoch dazu tendieren, Hochschulleitungen ein Managementbuch zu empfehlen.

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Anschubsen oder Wegschubsen – Ein Fall von politischer Fehlsteuerung in der Flüchtlingspolitik

Evelin Lemke, Wirtschaftsministerin von Rheinland-Pfalz, spricht mit Flüchtlingen denen schon dadurch geholfen wäre, dass Deutsche, die Ihnen als Bürgen helfen wollen keine lebenslange Verpflichtungserklärung unterschreiben müssten.

Evelin Lemke, Wirtschaftsministerin von Rheinland-Pfalz, spricht mit Flüchtlingen und Helfern. Deutsche, die als persönliche Bürgen helfen wollen, müssen bislang noch lebenslange Verpflichtungserklärungen unterschreiben.

Obwohl deutsche Politiker immer wieder öffentlichkeitswirksam Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg verkünden, sind die Möglichkeiten für Syrer, nach Deutschland zu kommen, um hier Asyl zu beantragen, sehr begrenzt. Soweit Flüchtlinge auf dem Landweg über andere EU-Staaten nach Deutschland kommen, war – jedenfalls bis vor kurzem – das Erstaufnahmeland für sie und ein eventuelles Asylverfahren zuständig. Die Einreise auf dem Luftweg setzt ein Visum für Deutschland voraus, was in der gegebenen Lage faktisch nicht zu erlangen ist.

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