Google ist nicht subjektiv

Fast jeder Internetnutzer kennt die Google-Suche und die meisten benutzen sie auch. In Deutschland hat der Konzern bei der Internetsuche so einen großen Marktanteil (rechts unten „Suchmaschinen“ auswählen), dass man getrost von einem Monopol sprechen kann. Monopole sind nicht nur aus marktwirtschaftlicher Sicht bedenklich. Denn Google’s Suchergebnisse sind in der Regel das Tor zu bisher unbekannten Informationen aus dem Internet. Und der Türsteher bestimmt bekanntlich, wer rein kommt und wer vor der Tür abgewiesen wird. Das Bild des Türstehers in Verbindung mit Google ist geläufig, aber bei genauerer Betrachtung nicht treffend. Denn es ist ja so, dass Google niemanden abweist, der auf der Suche nach Informationen ist. Google hat es jedoch in der Hand, welche Informationen es sind, die auch angezeigt werden. Die Suche übernimmt daher eher die Aufgabe eines Partnervermittlers und bestimmt, wer dem Suchenden als erstes und wer als ihm als letztes vorgeschlagen wird. Und statistische Auswertungen zeigen, dass die erste Empfehlung auch diejenige ist, die am häufigsten angenommen wird. Wer nicht unter den ersten 10 Suchtreffern zu finden ist, der führt ein Leben zweiter Klasse. Aber der Weltmarktführer hat beim Sortieren der Informationen keine bösen Absichten. „Don’t be evil“ schreibt sich Google selbst auf die Fahnen. Kritische, ängstliche oder unabhängige Geister mag das kaum beruhigen. Denn zu jeder Unterscheidung gehört die andere Seite. Und welche Seite als die gute bezeichnet wird, das ist nun mal vom Beobachter abhängig. So können die guten Absichten des Suchmaschinengiganten durchaus den Schaden für andere bedeuten. Zensur im Auftrag der chinesischen Gutmenschen, die ein ganzes Volk unterdrücken, ist aus Google’s Perspektive nicht böse. Dieser Kampf ist jedoch ausgefochten, Google zensiert weiter fleißig und ist dennoch in den Augen der meisten Nutzer auf der Seite des Guten zu verorten. Aber wie schafft Google das?

Der Trick ist einfach. Der Konzern distanziert sich von dem, was er tut. Google ist nicht subjektiv. Die Entscheidung, welche Ergebnisse angezeigt werden, berechnen verschiedene, ineinander greifende Algorithmen. Wie das genau funktioniert, ist geheim. Sicher ist jedoch, dass unter anderem Sprachmodelle (die Fähigkeit Sätze, Synonyme, diakritische Zeichen, Schreibfehler etc. zu interpretieren), Anfragemodelle (hier geht es ist nicht nur Sprache, sondern auch um die Art, in der sie heutzutage verwendet wird), Zeitmodelle (manche Anfragen sind mitunter am besten mit einer 30 Minuten alten Seite zu beantworten und manche sind besser mit einer alten und etablierten Seite bedient) sowie personalisierte Modelle (nicht alle Leute erwarten dasselbe) dazu gehören. Die Komplexität dieses Rechen- bzw. Entscheidungsvorgangs ist so groß, dass man die einzelnen Schritte, Analysen und Rankings keiner konkreten Verantwortung mehr zurechnen kann. Die Ergebnisse sind dann einfach da, wie von Wunderhand. Da fällt es leicht die Komplexität des Entscheidungsprozesses für die eigene Darstellung zu instrumentalisieren und zu behaupten, die Ergebnisse seien nicht von Menschenhand beeinflusst.

Ja, tatsächlich: Google schreibt den zusammenarbeitenden Algorithmen eine objektive Selektionsfähigkeit zu. Und das scheint in einer technikgläubigen Welt auch zu überzeugen. Man muss aber an dieser Darstellung einiges kritisieren. Denn zum einen fragt Mark zu Recht, wozu es denn dann die ganzen Quality-Rater bräuchte. Da pfuscht wohl jemand noch ganz gewaltig in den vermeintlich objektiven Ergebnissen herum. Und zum anderen sind Zahlen – unabhängig davon, wie komplex ihre Berechnung ist – nichts anderes als kommunkative Konstruktionen von Personen, Organisationen und/oder Gesellschaft. In diesem Fall stellt die Organisation Google seine Algorithmen selbst zusammen und ist daher für die Ergebnisse verantwortlich und gegebenenfalls auch verantwortlich zu machen.

Man stelle sich nur einmal vor, dass eine Regierung eines demokratischen Staates ihrer Bevölkerung per E-Mail mitteilt: „Es wurde eine Entscheidung getroffen. Sie ist die einzig richtige. Das versteht sich ja von selbst, weil wir für sie, das Volk, nur das Beste wollen. Die Entscheidung ist desweiteren auch nicht anfechtbar. Denn in jahrelangen Sitzungen, unter Beteiligung aller relevanten Gruppen und nach Anhörung aller einschlägiger Experten hat sich diese Entscheidung von selbst ergeben. Es ist nicht bekannt, wer den Ausschlag gegeben hat, wo sie sich herauskristallisiert hat und wann sie getroffen wurde. Nun ist sie jedoch da. Und sie wird umgesetzt. Wenn sie daran kein Interesse haben, können sie sich abmelden und ihre Staatsbürgerschaft löschen lassen.“

Warum muss eine Regierung ihre Entscheidungen verantworten? Und – das erscheint mir die wichtigere Frage zu sein – warum muss eine Organisation wie Google ihre Entscheidungen nicht weiter begründen, bzw. wie schafft sie es, sich hinter Zahlen zu verstecken?

Technikgläubikeit? Wirtschaftsorganisation? Die Möglichkeit – trotz Quasi-Monopol – den Anbieter zu wechseln?…

5 Kommentare

  1. Moritz Lippa sagt:

    Eine interessante Auseinandersetzung mit dem Thema google. Meiner Meinung nach muss allerdings die jeweilige Systemzugehörigkeit mit in Betracht gezogen werden. Wer verpflichtet Wirtschaftsunternehmen dazu ihre Verfahren bzw. Produkte zu objektivieren? Coca-Cola sagt uns ja auch nicht was wir trinken;-)
    Das Vergleichsbeispiel einer Regierung hinkt also meiner Meinung nach. Das Beispiel von Gatekeeper bzw. Türsteher und Partnervermittlung finde ich aber zutreffend und denke, dass man Deinen Punkt anders stark machen kann.

    Wie können wir es in einer Wissensgesellschaft (wenn wir das denn schon sind) zulassen, es in Abhängigkeit von Unternehmen zu stellen, mit welcher Wahrscheinlichkeit wir was wissen und was nicht. Der Adressat der Kritik sollte meiner Meinung nach nicht das Unternehmen sein, denn dieses bewegt sich in einem, von der Politik verabschiedeten, juristischen Rahmen.
    Dieser Rahmen ist es, der dafür sorgt, dass es an dieser Stelle zu Vorwürfen kommt. Die Kritik geht also an die Politik, die es nicht schafft kommerziellen Websites mit einem „funktionierenden“ Internetrecht den kollektiv verbindlichen Rahmen zu geben, der benötigt wird, um die Frage nach der Legitimität des von google-bereitgestellten und auch gefilterten Wissens zu beantworten.
    Ich meine nicht, dass die Politik google substituieren sollte und wir in Zukunft staatlich gefiltertes Wissen finden. Die Politik sollte google dazu verpflichten, sich zu öffnen und die Öffentlichkeit über eben diese von dir benannten Algorithmen informieren. Das google dies nicht tut, ist nicht dem Unternehmen vorzuwerfen, es kommt nur einfach zu „billig“ davon.

  2. Stefan Schulz sagt:

    Aber. Google stellt einen Service bereit, den nur Organisationen leisten können. Beim Einkaufen, bei medialer Unterhaltung und beim Arzt ist es genauso. Wir benötigen Dinge, an die ohne Organisation nicht zu denken wäre – und müssen dabei ertragen, dass unsere Rationalität auf die einer Organisation prallt und nicht passt. Zusätzlich: Google läßt sich nicht, wie gewöhnliche Organisationen, mit profanem Geld bezahlen, sondern verlangt Daten und ein Datenverteilungsmonopol. Wie das zu bewerten ist weiß ich auch nicht, aber Moritz Forderungen würde ich zb. nicht so unterstützen.

  3. Enno Aljets sagt:

    Sicher muss man mit der Eigenrationalität der Organisation rechnen und damit auch leben. Es geht mir ja nur darum, zu zeigen, dass es eben ein Mythos ist, zu glauben, dass Google irgendwelche Daten objektiv Zustande brächte. Vielmehr werden sie ihren Algorythmus so ausprägen und ggf. händisch manipulieren, dass ihre Geschäftsinteressen gewahrt und expandiert werden. Und die Interessen Googles sind natürlich monetär.
    Im Zuge dieser Überlegung bin ich mir nicht sicher, ob das Datenverteilungsmonopol ein Selbstzweck ist. Vielmehr geht es bei dem Monopol um seine monetäre Verwertung. Und insofern ist es „nur“ ein Mittel zum Zweck. Dementsprechend wäre es vollkommen unsinnig, von Google „mehr Transparenz“ zu fordern. Denn so wäre ja ihre Geschäftsgrundlage zerstört. Das wäre dann der zweite Irrglaube, den es bei Kritikern zu entkleiden gälte.

  4. Stefan Schulz sagt:

    Aber, ist google nun „nicht subjektiv“ oder „nicht objektiv“?
    Die Subjekt/Objekt-Unterscheidung wird durch den konstruktivistischen Unterbau „unserer“ Soziologie eh aufgehoben, die beiden Adjektive betrifft das auch. Google-Suchergebnisse sind schlicht kontingent.

  5. Enno Aljets sagt:

    Also vielleicht ist das ja nicht deutlich geworden und dann definitv mir als Fehler zuzurechnen: Google ist subjektiv. Und zwar absolut. Wenn ich das Gegenteil geschrieben habe, war das Ironie. Zumindest als solche gemeint und dann nicht verstanden, was also dazu führt, dass es keine Ironie war.
    Also noch mal im Klartext: Google ist subjektiv und versteckt sich hinter der „Objektivität“ eines Algorythmus, der in unserer technikgläubigen Welt als objektiv abgenommen wird. Es wäre ja noch schöner, wenn man glauben würde, dass die Programmierer von Google über die Ergebnisse ihres Produkts verwundert wären. Das Gegenteil ist der Fall: Die Ergebnisse sind nicht kontigent, sondern planvoll, absichtlich, sprich: subjektiv konstruiert. Oder: Es sind Beobachtungen des Internets durch einen Beobachter namens Google. Und die Ergebnisse dieser Beobachtungen fallen nunmal auf den Beobachter zurück. Und der handelt nicht zufällig, sondern mit Absicht: Einen Index zu erstellen, der sich monetarisieren lässt. Alles andere ist nur blah.

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