Sicherheit in einem unendlichen Universum
In unregelmäßigen Abständen werden wir auf soziologisches und soziologisch interessantes Material im Internet verlinken. Ausgabe 1:
In unregelmäßigen Abständen werden wir auf soziologisches und soziologisch interessantes Material im Internet verlinken. Ausgabe 1:
Wenn wir uns in der Welt zurechtfinden wollen, gibt es gar nicht so viele gute Anhaltspunkte, die uns Orientierung bieten, wie man zuerst glaubt. Nichts ist so objektiv und abgesichert, dass man sich gefahrlos blindlinks darauf verlassen könnte. Dieses Problem kann man im Kleinen noch gut meistern. Bei anstehenden, etwas folgenreicheren Lebensentscheidungen verlässt man sich auf Ratgeber wie die eigenen Erfahrungen, Freunde, Zeitschriften oder teure Gutachter. Wenn’s schief geht ist eben ein entsprechender Teil des Jahreslohns weg…
Die Politik schlägt sich auf ganz anderen Ebenen mit dem Problem der Fehlbarkeit von Prognosen herum. Jede Entscheidung birgt Risiken und Gefahren. Nur dass das Risiko der 600 Parlamentarier in Berlin Gefahren mit gesellschaftsweiter Tragweite bedeutet. Eine kleine Gruppe entscheidet und ganze Völker sind betroffen.
Heute morgen war es so weit, die Vorratsdatenspeicherung wurde kassiert. Am 09. November 2007 wurde sie im Bundestag beschlossen, seit Jahreswechsel 2008 war sie in Kraft und heute wurde sie in ihrer jetzigen Form für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Es ist ein Erfolg all derer, die sich vor und seit ihrem Bestehen gegen sie engagiert haben.
Die zwei wichtigsten Meldungen zur Sache sind meiner Ansicht nach diese: 1. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung sieht den Verfassungsgerichtserfolg in Deutschland als erste Hürde an und fokussiert sein Engagement nun auf die EU-Richtlinie (link). 2. In der EU-Kommission wird die Richtlinie selbstständig erneut aufgegriffen (link).
Dass die Soziologie mit Absicht kontraintuitives, ungeselliges Gerede bedeutet, gilt nur prinzipiell. Es gibt auch Beobachtungen von Einzelfällen, die auf strenge soziologische Forschung zurückgehen, für deren Verständnis kein kompletter Nachvollzug ausschweifender Theorien oder Kontextwissen größerer Zusammenhänge erforderlich ist. Mein Lieblingsphänomen aus dieser Riege ist das der „Invertierung sozialer Codes“.
Es beruht auf der Unterscheidung von Organisation und Gesellschaft und führt zu Aussagen wie denen: Gerade demokratische Parteien sind wie Armeen organisiert. Gerade das Erarbeiten oder Erfinden von Innovationen ist nur in einem geregelten und routinierten Arbeitsumfeld möglich. Gerade in Schulen, in denen Menschen selbstbestimmtes Denken lernen sollen, darf man sich nur nach Genehmigung zu Wort und Tat melden.
Das Geschehen der Welt mit soziologischen Prämissen zu behandeln ist nicht besonders geselligkeitsfördernd. Man vermeidet Eigennamen, Grenzüberschreitungen, Verallgemeinerungen und die Benutzung von Zahlen. Man tut also nichts von dem, was am Stammtisch aufheitert und fasziniert. Man würde sich nicht einfach ein Thema nehmen und loslegen: Goldman Sachs (Eigenname) hat Griechenland (Eigenname) beim Staatsfinanzenschummeln – 13% Haushaltsdefizit (Zahlen) – geholfen, deswegen steht jetzt dem Euro (Eigenname) und jedem anderen europäischen Land (Grenzüberschreitung) der Euro-Schicksalsgemeinschaft großer Schaden (Verallgemeinerung) bevor.
Das Echtzeit-Internet, es bleibt hier noch eine Weile als Thema erhalten. Diesmal durch die wirklich gute Idee, das Internet als Exoskelett des Denkens zu bezeichnen. Seit Mitte 2007 kann man das Internet und mit ihm das gesammelte Weltwissen, in der Hosentasche mit sich tragen. Es ist nicht mehr an den (großen) Computer und damit weder an einen festen Standort noch an anwendungsaufwendige Technologie gebunden. Es ist einfach da, wenn man es braucht – auf Knopfdruck.
Das Internet macht Spaß, hilft, vereinfacht, beschleunigt, stellt Nähe her, unterhält und informiert. Das Internet kann in seinem gegenwärtigen Zustand als rundum gut bezeichnet und beschrieben werden. Und wer doch was zu mäkeln hat, hat es eben noch nicht richtig verstanden. Aber das Internet hilft auch da weiter, man kann sich mithilfe des Internets über das Internet selbst informieren. Es stellt sich in gewisser Weise ein Anti-Teufelskreis ein. Man muss sich vom Internet nur infizieren lassen, dann findet man es, wie sollte es anders sein, zwangsläufig gut.
Welches Problem haben alte Männer eigentlich mit der Zeit..? Nicht nur, war früher alles besser – jetzt ist es schon problematisch, dass die Welt passiert, wenn sie passiert und sie sich nicht mehr an die Tagesagenda hällt: Lebensweltkonfrontation von 9 bis 5 und die weltverändernden Neuigkeiten aus dem Outaspace von 20:00 Uhr bis 20:15 Uhr. -> „Die Echtzeit wartet schon“ „Die totale Verimmerung“. Die zentrale Frage: was passiert mit uns Individuen und unseren Gehirnen, was passiert mit uns allen und unserer Gesellschaft, jetzt, da es keine regelmässigen Neuigkeitsrituale mehr gibt. Auch diese Debatte wird geführt, ohne dass die Ausgangslage geklärt ist.
Das gegenwärtige Jahrzehnt klingt aus und während sich vielerorts ein kleiner Neustart gewünscht wird, ist das nächste Jahrzehnt schon weithin vorbestimmt. Zu viele Hausaufgaben blieben unerledigt. An den Unis wird protestiert. Wir wissen weiterhin nicht, was das Internet mit uns im Einzelnen und der Gesellschaft macht. Das Klima bleibt ungerettet und die kleine Riege von Topbankern ist gut bezahlt und exklusiv wie nie zuvor.
Diese vier Themen bilden die thematischen Eckpfeiler in allen Kanälen den Stammtischen, den RTL-2 Nachrichten und der FAZ. Sie sind die Mainstream-Diskussionen, die in den Archiven der Gesellschaft bestehen werden und aufzeigbar sind, wenn man einmal zurückblickt.
Dieser Artikel schließt direkt an den vorhergehenden Artikel samt seiner Kommentare an – ist also eine Art Zusammenfassung und Strukturierung der Ideen, die im Besonderen Herr autopoiet beigesteuert hat.
Die moderne Gesellschaft unterscheidet sich von ihren Vorgängern durch den Abbau der Notwendigkeit persönlicher Beziehungen und Zurechnungen. Musste ein Bauer im 11. Jhrd. noch streng nach Kalender seine Ernteerträge an einen Herren abführen und der König bei längerer Abwesenheit fürchten, dass seine Pfälze niedergerissen werden, verfügt die Moderne über Organisationen und Institutionen, die sich mithilfe symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien konstituieren und stabilisieren.
Der moderne Bauer verfügt nun über Geld und kann seine Waren egal wem, egal wann, und egal für welchen Preis anbieten. Und ebenso frei ist er im Ankauf. Und auch der König muss nicht mehr anwesend sein und seine Herrlichkeit religiös untermauern. Der moderne König wird gewählt, in ein Amt, das nicht im Vorfeld festlegt, wer es ausfüllt, was und wann entschieden wird. Soweit die Beispiele für Geld und politische Macht.
Rund um die deutsche Wikipedia gibt es gegenwärtig Aufruhr, da einige Admins (Wikipedia-Leute) Texte von Autoren (Welt-Leute) löschen und dies mit ihrem Katalog für Relevanzkriterien begründen.
Die Wikipedia ist ein besonderes Projekt. Sie ist, in erster Linie, eine Organisation und folgt somit klaren Regeln in Bezug auf: Wer darf was und wer darf nicht. In diesem Sinne ist sie eine gewöhnliche Organisation. Sie verfügt über Verfahren durch die geregelt wird, wer zu den Entscheidern gehört und was und wie entschieden wird.
Das Internet ist voll mit Leuten, die viel nachdenken aber zu wenig lesen. Die hypermoderne, internetgeprägte Moderne ist, um den Spaß mitzumachen, eine Redundanzgesellschaft. Eines der Themen, durch die das aktuell wieder besonders deutlich wird, ist die Thematisierung der Demokratie.
Was gibt es alles: Fluid Democracy, Real-Time-Democracy oder, um ein Modell explizit zu verlinken: die digitale Demokratie.
Was haben all die Ideen gemeinsam? Sie sind ziemlich kurzsichtig. Sie beobachten Politik allein anhand des Partizipationsprinzips. Legislaturperioden werden verkürzt, Mandate sind nur noch imperativ, es wird sichergestellt, dass jede Idee einzeln berücksichtigt wird und dass die Politik mit notwendigem Wissen ausgestattet ist, das sie bisher ignorierte. (Bzw. die Politik wird mit Wissen von Gruppen ausgestattet, die sie bisher ignorierte.)
Aber sind das die Probleme, die Demokratie löst? Kann man Demokratie allein aus Perspektive des Publikums und der Partizipationsprinzipien beobachten – oder verliert man dabei zu viel aus dem Blick?