Zum Umgang mit unbrauchbarer Legalität in Organisationen[1] „Kein System sozialer Normen könnte einer perfekten Verhaltenstransparenz ausgesetzt werden, ohne sich zu Tode zu blamieren.“ Der Soziologe Heinrich Popitz (1968: 10)
Die ungewollten Nebenfolgen der verstärkten Durchsetzung von Regeltreue in Organisationen sind in den letzten Jahrzehnten umfassend herausgearbeitet worden. Dieser Artikel greift diese Forschung auf und ordnet sie theoretisch ein. Dabei wird gezeigt, dass als Reaktion auf das Bekanntwerden von Regelbrüchen und Gesetzesverstößen, Organisationen nicht nur mit Maßnahmen auf der Schauseite reagieren, sondern formale Veränderungen in den Kommunikationswegen, bei den Programmen und beim Personal vornehmen. Die Effekte dieser formalen Veränderungen sind eine zunehmende Bürokratisierung der Organisation, eine Zweck-Mittel-Verschiebung, bei der die Regeltreue immer mehr zum Selbstzweck wird und die Verlagerung der Kompetenzen zu den für Regelüberwachung zuständigen Stabsstellen. Weil sich viele Organisationen ein Scheitern aufgrund zu strikter formaler Regeln nicht leisten können, führt diese verstärkte Formalisierung zu informalen Ausweichbewegungen in Form von neuen Regelabweichungen. Effekt können bürokratische Teufelskreise sein, in denen die verstärkte Betonung der Formalität zu immer neuen informalen Umgehungsversuchen führt, auf die dann mit immer weiteren Verschärfungen formaler Vorschriften reagiert wird. Ein Effekt dieser bürokratischen Teufelskreise ist, dass sich das Wissen über Regelabweichungen immer mehr auf kleine durch informale Verschwiegenheitserwartungen geschützte Kreise beschränkt und damit für die Organisation insgesamt nicht mehr zugänglich ist. Weiterlesen →