Ist das Internet eine „Speakers‘ Corner“, eine Ecke im Park mit Podium, auf der jeder einmal sprechen und schimpfen darf, worüber er will? Als Denkanstoß für den Umgang mit aktuellen Fragen, wie sie beispielsweise das Google-Urteil des Europäischen Gerichtshofs aufgeworfen hat, dient die Metapher schon, mit Abstrichen und Zugaben. Es ist so: Das Internet erschwert die Unterscheidung zwischen Medien und anderen Sprechern in der Öffentlichkeit, es stellt die ganze Welt als potenzielles Publikum dar, gibt dem Sprecher aber deswegen nicht sogleich die Möglichkeit, auch tatsächlich jeden zu erreichen. Und ab wann wird die Redefreiheit des einen eigentlich gewichtiger als die Freiheit des anderen, sein Leben selbstbestimmt und privat zu gestalten?
Apple erobert den letzten Markt
Es wird von einer Offensive gesprochen, aber es ist tatsächlich nicht das erste Mal, dass sich Apple um Datenschutz kümmert. Es ist seit langem ein bewusst gepflegtes Verkaufsargument von Apple, Steve Jobs und nun Tim Cook stellten es häufig voran. Der Brief des Apple-Chefs an die Kunden, Konkurrenten und die ganze Gesellschaft, fasst es dennoch in neuer Vehemenz: „Vor einigen Jahren haben Nutzer des Internets bemerkt, dass sie nicht die Kunden kostenloser Onlinedienste sind. Sie sind ihr Produkt.“ In diesem Punkt stimmen nun Silicon-Valley-Protagonisten und ihre schärfsten Kritiker überein. Dennoch bleibt ein Problem, dass Tim Cook ebenso in seinem Brief aufwirft. Zumindest begrifflich.
Was Googles Transparenzbericht aussagt
Googles neuer Transparenzbericht ist da. In ihm steht nicht, wie Google arbeitet, Suchergebnisse filtert und sortiert, nach welchen Kriterien Google E-Mails und Hangout-Chats analysiert oder die Verwendung von Google Maps auswertet. Stattdessen veröffentlicht Google die Anzahl an Anfragen staatlicher Behörden an das Unternehmen. Die Zahl wuchs und ist in Deutschland schon vorher größer gewesen als in vielen anderen Staaten. Weltweit sei die Zahl an Anfragen um 15 Prozent in Jahresfrist gestiegen, in Deutschland um 25 Prozent. In den vergangen fünf Jahren klafften die Entwicklungen sogar noch weiter auseinander. Weltweit stieg die Zahl um die Hälfte, in Deutschland um das sechsfache. Mehr als die Summe der Anfragen (3338 für das erste Halbjahr in Deutschland) und die Quote der Ablehnungen (52 Prozent) veröffentlichte das Unternehmen allerdings nicht.
Müssen wir noch einmal neu Lesen lernen?
Vor dreißig Jahren, im April 1984, war Microsoft-Gründer Bill Gates erstmals auf dem Cover des „Time Magazine“. Den Satz, den die Redaktion über das lächelnde Gesicht des damals Achtundzwanzigjährigen stellte, hätte sie ebenso vergangene Woche schreiben können: „Computer Software – Die Magie im Inneren der Maschine“. So gilt es bis heute: Unverstandene Mathematik, zur Magie verklärt, in ein uneinsehbares Inneres verbannt, den Maschinen untergeschoben. Kein massenmediales Infotainment hat an diesem Denken je etwas geändert. Stattdessen beginnt im Januar „CSI: Cyber“ und damit der nächste Versuch einer Verherrlichung angeblicher Allwissenheit tatsächlich omnipräsenter Computersysteme.
„Nur die Dummen hoffen auf Frieden“
In den vergangenen Tagen kam mir auch mal die Idee, etwas zum Krieg zwischen Israel und Hamas zu schreiben. Nicht so sehr wegen der Angriffe, sondern wegen der moralischen Ausbeutung die das Thema mit sich bringt, auch, weil es inhaltlich wenig über den Ort des Geschehens zu berichten gibt. Man kann nicht einfach nach Gaza fahren, also machen es wenige. In Deutschland ist der Krieg ohnehin eher Angelegenheit für Kommentare als für Berichterstattung. Man kann also auch gleich zu alten Büchern greifen und das grundsätzliche Problem angehen: Die Fragen des Wollens und Dürfens sind immer auch moralische. Nur zur Ansichtssache werden sie dadurch nicht automatisch.
Sogar Facebook entdeckt noch Neuland
Die Schlussfolgerung des Journalisten Will Oremus, der für „Slate“ über Technologie schreibt und die sozialen Netzwerke im Blick behält, ist interessant und offenbar absolut zugreffend. Bei der jüngsten Bekanntgabe der Quartalszahlen vergangenen Mittwoch nutzte Mark Zuckerberg die Frage eines Journalisten dazu, nicht nur einen Ausblick in die Zukunft zu geben. Ein Stück weit versuchte er auch, die Unternehmensgeschichte von Facebook umzuschreiben. Oremus hat die Antwort in Gänze schriftlich dokumentiert. (Man kann es auch nachhören, ab Minute 49.)
Das Zusammenspiel von „Hard Law“ und „Soft Law“
Sozial- und Rechtswissenschaftler diskutieren in Minneapolis über die vielfältigen Eigenrechte sozialer Ordnungen
Im Unterschied zur klassischen Rechtswissenschaft diskutiert die Rechtssoziologie nicht nur Rechtsthemen im engerern Sinne als „Hard Law“. Es geht nicht nur um die Profession des Richters, die Rolle des Schöffen oder der Jury, neue und alte Gesetzeslücken oder die Akzeptanz von Verfahrensentscheidungen. Auf dem Jahreskongress der „Law & Society Association“ (LSA), der im Juni in Minneapolis (USA) tagte, fand vielmehr ein Austausch über Rechtsthemen in einem breiten, nicht-juristischen Sinne als „Soft Law“ statt.
Ja, es geht um dich!
Facebook-User sind Versuchskaninchen, das wissen wir nun. Dass die Versuche am kommunizierenden Objekt alltäglich sind und ohne umfängliche ethische Kontrolle oder überhaupt fach- und sachgerechter Aufsicht durchgeführt werden, verwundert wenig. Heute Morgen gab es dann doch noch einen ungewöhnlichen Hinweis zur Qualität der Forschung: Man könne manche Forschungsergebnisse schon deshalb infrage stellen, weil man nicht wisse, ob der ein oder andere Facebook-Nutzer nicht gleichzeitig in mehreren Versuchsanordnungen Platz fand, die Manipulationen des einen Forschers also die Beobachtungen des anderen unbemerkt verfälschten.
Schreiben und Denken
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung widmet Frank Schirrmacher morgen viele, viele Texte, um zu beschreiben, was wahr ist: Schirrmacher war ein freier und glücklicher Denker, aber er wird sein ganz spezielles Feuilleton nicht mehr täglich durchrütteln und er fehlt schrecklich. Nicht nur in den aus der Redaktion geschriebenen Texten taucht dabei immer wieder die Beschreibung einer verspielten, kindlichen Seite Schirrmachers auf. Wahrscheinlich aus Ehrfurcht ist mir das nie bewusst geworden, rückblickend wahrscheinlich, weil es sein kann, dass er mit dem Wissen über seine Wirkung auf andere gespielt hat, in seinen Texten, aber auch in Gesprächen. Alles, was er sagte, war ernst zu nehmen. Selbst wenn er wollte, hätte er sich nie davon lösen können, Frank Schirrmacher zu sein, vor allem ihm gegenübersitzende Volontäre oder Hospitanten hätten das niemals zugelassen, man hätte gar nicht gewusst, wie.
Neue soziale Normen oder neue soziale Netzwerke?
Große IT-Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon sind nicht nur dafür bekannt, bekannte und beliebte Produkte herzustellen. Sie produzieren ebenso Zitate, die nicht sonderlich beliebt sind und wohl gerade deswegen sehr bekannt gemacht werden. Von Googles Eric Schmidt ist bekannt, dass man, was man nicht über sich im Internet sehen wollte, vielleicht gänzlich unterlassen sollte. Von Mark Zuckerberg ist bekannt, dass Privatsphäre nichts anderes sei als eine überholte soziale Norm. Die Chefstrategen sind sich einig, doch stimmt auch, was sie sagen?
Sie schauen beim Denken zu
38 Minuten sprach Edward Snowden vergangene Nacht, erstmals mit einem amerikanischen Journalisten im Fernsehen. Das Video, eine vollständige Version gibt es bereits bei Youtube, wird die Welt und insbesondere deutsche Parlamentarier noch lange beschäftigen. Es stecken viele politische und persönliche Aspekte darin.
Ist Datenschutz Gedankenkontrolle?
Der obige, einminütige Ausschnitt der gestrigen Twig-Folge ist schon recht aussagekräftig, die ganze Sendung lässt sich hier nachsehen. Aber – um etwas vorsichtig an Jeff Jarvis Aussagen heranzutreten, das EuGH-Urteil bedeute „Gedankenkontrolle, Tyrannei und Propaganda“ – sacht gefragt: Hat er recht?
In einem Punkt schon. Das Urteil des EuGH ist nämlich in der Tat nicht einfach eine Ermächtigung eines Bürgers, in Googles Ergebnisliste eingreifen zu dürfen, wenn die Achtung auf den Schutz seiner Privatsphäre betroffen ist. Tatsächlich lässt sich über das Urteil nämlich auch folgendes sagen: Die Richter haben entschieden, dass Google nicht mehr die einzige (juristische) Person ist, die darüber entscheiden darf, wie die Suchergebnisse aussehen.