Es reden sich gerade alle den Mund fusselig, weil ein Journalisten-Professor aus Amerika eine Meinung hat, die er den Deutschen mit dem Vorschlaghammer nahe bringt, obwohl er weder von Kultur noch Sprache hierzulande viel (oder besser: hinreichend) Ahnung hat. Und diejenigen, die ihm entgegnen wollen, fangen schon an nach Habermas zu rufen… Bis auf die ein oder andere Ausnahme, wird gerade recht viel heiße Luft produziert.
Abgesehen von der Frage, warum es keine gute Lösung ist, die ganze Welt zu fotografieren und die, die nicht einverstanden sind, einzeln herauszupixeln, stellt sich die Frage, warum überhaupt einige auf die Idee kommen, sie müssten/könnten Argumente vortragen, um die anderen zu überzeugen, wieso und weshalb fotografieren und verpixeln von Fotos gut oder schlecht ist.
Die Diskussion um Google-Street-View erinnert mich sehr an eine kleine Medienepisode mit einem Journalisten und einem Sprecher von Monsanto, die sich im TV darüber unterhalten, ob Genmais (oder etwas in der Richtung) jetzt auf einem privaten Monsanto-Acker, aber natürlich in einer gar nicht anders als öffentlich möglichen Biosphäre, angebaut werden darf oder nicht. Die Bevölkerung, die gegen diesen Anbau war, stand auf der einen Seite, Monsanto auf der anderen. Und das Argument des Monsanto-Typen war: Wir brauchen keine Volksbefragung, sondern wissenschaftliche Fakten darüber, ob es gefährlich ist oder nicht.
Das klingt zwar gut, ist aber ein äußerst billiger Trick. Denn wenn, bei solchen Fragen, die Wissenschaft (dazu zählt hier natürlich auch Habermas) gerufen wird, bedeutet das gleichzeitig einen Ruf nach Entmündigung des „normalen Bürgers“. Eine Diskussion die wissenschaftlich, also mit „harten Fakten“ geführt wird, ist nichts anderes als eine Diskussion auf höherem Niveau – aber es bleibt eine Diskussion. Gerade wenn es um Folgenabschätzung geht, kann jeder nur perspektiven-, methoden- und technikabhängiges „Wissen“ produzieren und zur Diskussion stellen – muss jedoch offen für Überraschungen in der Zukunft bleiben.
Das Problem ist allerdings, dass man an solchen Diskussionen nur teilnehmen (und das Ergebnis beeinflussen) kann, wenn man sich mit den Themen hauptamtlich befasst. Sollten wir eine Diskussion wie der, ob ein Haus bei Street-View verpixelt werden soll an Habermas und Jarvis übergeben und uns vorher einverstanden erklären, dass deren „Konsens“ dann am Ende für alle gilt???
Wenn überhaupt nur kurzzeitig an ein „Ja“ gedacht wird, warum übergeben wir unsere Wahlentscheidung dann nicht dem Wahl-o-maten, lassen unseren Arzt unseren Gesundi-Einkaufzettel schreiben und lassen uns nur noch von Lokführern auf wissenschaftlich-rational festgelegten Gleisen transportieren..? (Und „richtigerweise“ sollte man dann auch kein Castor-Transport-Gleis „abschottern“ dürfen, weil höhere Stellen gesagt haben, dass es nicht richtig ist. [Update: Womöglich sollte man es tatsächlich bei einer symbolischen Handlung belassen…])
In vielen, grundlegenden, lebensweltbeeinflussenden, politischen Diskussionen hat wissenschaftliches Wissen und Rationlität überhaupt nichts zu suchen. Sondern es kommt nur auf die Meinung des Einzelnen an – und die vielfach gefeierte Freiheit besteht darin, sich für diese Meinung nicht rechtfertigen zu müssen – sondern sie sagen und ausleben zu können. Selbstbestimmtes Leben fängt bei der Hausfassade und dem Vorgarten an – dort lebt man sich aus. Und wenn jemand das Fotografieren möchte und vorher fragt, ob man es anderweitig zeigen darf, darf man einfach „Nein“ sagen, ohne befürchten zu müssen, dass eine Hundertschaft Auskenner und Weltversteher um die Ecke kommt und darüber eine Diskussion („Was ist eigentlich Öffentlichkeit?“) beginnt!
(Bild: Jørgen Schyberg)
[…] Ich denke, mit dem Opt-Out-Vefahren ist eine pragmatische Lösung gefunden worden. Niemand kann einem Privatunternehmen verbieten, Mehrwert aus dem öffentlichen Raum zu ziehen, gleichzeitig muss ich natürlich die Möglichkeit […]
[…] Schulz postuliert bei den Sozialtheoristen die Freiheit des Einzelnen, als potenzielle Freiheit von Rationalität und […]
[…] nochmal zum gleichen Thema – Benedikt Köhler über “Digitale Zwangsneurosen” – Die Sozialtheoristen – Jörg-Olaf Schäfers bei netzpolitik.org – Annalist über […]
„Sondern es kommt nur auf die Meinung des Einzelnen an – und die vielfach gefeierte Freiheit besteht darin, sich für diese Meinung nicht rechtfertigen zu müssen – sondern sie sagen und ausleben zu können.“
Wow – das wird spannend, wenn diese Auffassung von Entfaltung im gemeinschaftlichen Raumes die Oberhand gewinnt.
Glauben Sie an die Möglichkeit von Anarchie oder worauf begründet diese Vorherrschaft des Einzelnen?
Ihnen ist bekannt, dass die Hausansichten, um die es im fraglichen Thema geht, nach bisheriger moralischer und rechtlicher Ansicht dem öffentlichen Raum zu geordnet werden? Somit kann also nicht der Einzelne darüber bestimmen, ob fotografiert und publiziert wird, sondern es bedarf einer gesellschaftlichen Übereinkunft darüber.
Na, wenns so einfach ist, wieso diskutieren wir dann.
Fakt ist doch, wenn Google eine Fassade fotografiert und dieses einmalig gemachte Bild als Symbol dieses Ortes gilt, was ja die beabsichtige Funktion von Street-View ist, dann zählt das menschliche Element fast nichts mehr.
Menschen kaufen doch nicht zum Spaß Mode, tragen Makeup, investieren in Vorgärten und Schmucke Hausfassaden. UND möchten selbst bestimmen, welchen Eindruck sie hinterlassen wollen (anstatt es dem Goole-kommt-vorbei Zufall zu überlassen).
Es gibt ein paar Sachen zu bedenken, bevor man „Öffentlichkeit“ brüllt!
Und das sage ich als absoluter Street-View Befürworter. Ich kann dennoch nicht akzeptieren, dass das verpixeln einer Hausfassade mit „wegbomben“ gleichgesetzt wird.
Jens Best hatte zu dem Punkt, das man Google das Fotografieren nicht alleine überlassen sollte, einen guten Artikel verlinkt: http://neuegegenwart.de/ausgabe59/streetview.htm
Ich bezweifle, dass das Bild eines Hauses in Streetview das wichtigste Foto dieses Hauses im Netz werden kann. Viele setzen Google immer so absolut. Es wird Alternativen geben. Und auch bei Google kann man ja eigene Fotos verlinken, so wird es selbst dort mehrere Fotos eines Hauses geben können.
Sie haben mir noch nicht auf die Frage geantwortet, warum die willkürliche Meinung eines Einzelnen im öffentlichen Raum bestimmend sein sollte. Im öffentlichen Raum kann man eben nicht bestimmen, wann jemand ein Haus fotografiert.
Zu der Frage: Ich rede nicht vom „öffentlichen Raum“ und auch nicht von „willkürlicher Meinung des Einzelnen“. Ich sprach von der Freiheit des Einzelnen, über seinen Besitz und dessen mediale Verbreitung selbst zu bestimmen, ohne darüber diskutieren oder sich beschimpfen lassen zu müssen.
Alles andere ist ungeklärt – auch wenn sie behaupten die „rechtliche und moralische“ Sachlage ist klar… Beispielsweise ist die Frage offen, ob man es zulassen muss, beobachtet zu werden ohne zurückbeobachten zu können. Oder, ob es zulässig ist, dass eine Momentaufnahme im Internet landet, die falsche Tatsachen vorgaugelt… Usw.
Wenn man allerdings die ganze Zeit mit der Unterscheidung Öffentlich/Privat arbeitet – blockiert man sich selbst.
[…] schließen an dieser Öffentlich/Privat-Vorstellung an. So radikal, dass einige glauben, alle „rechtlichen und moralischen“ Aspekte sind dadurch […]
„Momentaufnahme im Internet landet, die falsche Tatsachen vorgaugelt“ – Wilde Gedanken haben sie da. Bedeutet das also jeder Fotograf von Dingen (wie z.B. einer Häuserfassade im öffentlichen Raum) muss den Besitzer desselben ausfindig machen, um zu fragen, ob die Aufnahme denn genehm sei?
„es kommt nur auf die Meinung des Einzelnen an – und die vielfach gefeierte Freiheit besteht darin, sich für diese Meinung nicht rechtfertigen zu müssen – sondern sie sagen und ausleben zu können. “
Da haben sie grundsätzlich recht, wenn es um den privaten Raum geht. Wenn sie z.B. in ihrem Wohnzimmer nackt Purzelbäume schlagen, geht das keinen was an, machen sie dies in der Öffentlichkeit, könnte man sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses ansprechen. DAS ist eben genau der Unterschied zwischen privat/öffentlich. Im öffentlichen Raum gilt die gesellschaftliche Absprachen, nicht die willkürliche Entscheidungsgewalt eines Hausbesitzers. Die öffentlich einsehbare Front ihres Grundstückes ist NICHT ihr Privatvergnügen, sondern nach aktueller Absprache und Rechtsprechung Bestandteil des öffentlichen Raum.
„beobachtet werden“ Ein Foto im öffentlichen Raum, das ein Haus zeigt, ist kein Beobachten. Lassen sie mal die Kirche im Dorf, sie lamentieren ja gerade so, als hätte jemand eine Armee von Livebild-Kameras rund um ihr Haus postiert.
ein wenig Differenzierungsfähigkeit in der Debatte wäre angebracht und würde gerade einem Soziologen gut zu Gesicht stehen.
Tom, deine Ansicht (im Modus von privat/öffentlich) ist zu kurz gedacht. Und das ändert sich auch nicht durch dreimaliges wiederholen…