Mitmachen und Bessermachen

Man muss nicht immer eine Olympiade daraus machen, doch auf der Liste der merkwürdigen Wörter 2011 gehört eines nach ganz oben: Demokratisierung. Sei es als kühne Idee, sei es als handfestes Kriterium. Alles, was 2011 mit dem Begriff „Demokratisierung“ dekoriert wurde, ging schief. Nach der „Arabellion“ regiert in Tunesien die Generation 60+, in Ägypten das Militär und in Libyen das Chaos und auch die hiesigen Demokratisierungsversprechen sind durch die Bank merkwürdig. Allen voran das Bekenntnis: Wenn wir es allen zur Verfügung stellen, haben wir es demokratisiert. Wozu brauchen wir einen Begriff, den wir für alles verwenden?

Dabei ist mit Demokratie so viel mehr gemeint als: Jeder kann mitmachen und der Diktator ist tot. Er steht für spezifische Prinzipien und Möglichkeiten. Erstaunlicherweise ist die Piratenpartei noch der ertragreichste Demokratieförderer. Nach kritikwürdiger Holprigkeit haben sie die Demokratie bisweilen gut im Griff – besonders, weil die Piratenpartei endlich eine Organisation geworden ist. Denn das heißt vor allem: Es darf zwar jeder mitmachen, aber nicht einfach so.

Das größte Problem des Prinzips „Demokratisierung“: Alle dürfen mitmachen ist nämlich, dass dann alle mitmachen, ohne zuzulassen, dass die sich einstellenden Überforderungen von Personen und Institutionen kompensiert werden müssen. Das Umdenken ist im Gang, rechtzeitig vor 2013.

Die Verramschung des Demokratiebegriffs ist glücklicherweise noch nicht auf den Begriff der Legitimation durchgeschlagen. Denn diesen Begriff benötigen wir noch, wenn dieses Jahr FinSpy Aufmerksamkeit erregt, wenn bei der Fussball-EM INDECT getestet wird und wenn all die merkwürdigen Dinge passieren, die uns vorher nicht aufgefallen sind, weil sie so in keinem Gesetzestext auftauchen und trotzdem unter dem Deckmantel der Demokratie geschehen. Für das ein oder andere Problem, das sich abzeichnet und das nur europäisch zu lösen ist, gibt es bislang nicht mal einen ausformulierten grundgesetzchrakterlichen Text.

Die Demokratisierungen sind 2011 gründlich schiefgegangen, vielleicht lässt sich einiges wieder hinbiegen, wenn 2012 versucht wird, das ein oder andere zu legitimieren. Nur sollte man schon mal beginnen, zwischen Partizipation und Protest zu unterscheiden. Das eine findet im Internet und auf der Straße statt, das andere in Parlamenten und Parteien. Legitimation lässt sich nicht auf der Straße aufsammeln, auch nicht im Schwarm und erst recht nicht durch die ‚Intelligenz‘ einer Masse.

(Bild: Kalyan Chakravathy)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

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