Burn-Out-Diagnosen

Zwischen Fremd- und Selbstausbeutung – Ein Plädoyer für eine dritte Beobachtungsebene und einen ersten Ausweg

Es sind die sadistischen Auszüge der modernen Leistungsgesellschaft, so die umlaufende Erklärung für die Diagnose eines neu bezeichneten Phänomens: Burn-Out. Eine Nation ist plötzlich ausgelaugt, überlastet und überfordert. Als Rezept gegen die neue Volkskrankheit wird ein Cry-Out verschrieben. Empört Euch! gegenüber einer geldgeilen Gesellschaft, die den kapitalistischen Raubbau an der Marke Arbeitskraft salonfähig gemacht hat.

Wer auf dieser Ebene unkontrolliert weiter argumentiert, der mag vermutlich auch in einer eruptiven Entschleunigung ein Mittel ihrer Beeinflussung sehen. Und da die Gesellschaft, die Politik oder die Wirtschaft keine Adresse haben, wird dann auch versucht, sie als Ganze zu reformieren oder zu lähmen. Ohne Adresse verläuft der vermeintliche Protest jedoch ins Leere und wird sogar selbst von seiner ebenso vermeintlichen Gönnerschaft als unbelesen ignoriert.

Herkömmliche Mittel gegen das systemische Problem setzen dagegen am Einzelnen an: Pilates und Yoga, Obst und Gemüse, Wellness und Spa-Kur, Verhaltens- und Psychotherapie sollen die Leistungsfähigkeit wieder herstellbar und weiter abrufbar halten. Aber während der rein gesellschaftstheoretische Zugang zur Arbeitswelt überkomplex ist, fällt die individualpsychologische Betrachtung entsprechend unterkomplex aus. Letztere rückt Burn-Out einzig eng in das Licht bzw. Dunkel gängiger Stressphänomene: Nämlich dem Paradox, dass Stress subjektiv ist und jeder Versuch ihn beseitigen zu wollen (noch mehr) Stress verursachen kann. Entspannung, Anspannung und Erschöpfung vermischen dann genauso wie Arbeits- und Freizeitstress. Worüber wird dann eigentlich noch Neues diskutiert?

Angebot schafft Nachfrage?

Sieht man sich einige öffentlich interviewte Fälle an, so begegnet man bekannten Gesichtern, die sich einst auch an einer Depression leidend bekannt hatten. Dabei vermischen sich die Diagnosen. Ein Burn-Outing scheint aber derzeit medial anerkannter zu sein, da man für den Leistungs- und Beliebtheitsdruck wie für seine sexuelle Orientierung schwer verantwortlich gemacht werden kann. Angesichts der symptomatischen und definitorischen Ungeklärtheiten in der medialen Berichterstattung bekommen die aufklärerischen Anliegen von Profisportlern, Managern und Prominenten ein Geschmäckle und stehen in einem eher unglaubwürdigen Rampenlicht. Der Verdacht, dass nicht auch noch andere Motive bestehen, als die die thematisiert wurden, läuft weiter mit. Das  Mitleid war zu öffentlich und wiederum zu profitgierig. Der kapitalistische Konsumkreis scheint dann wieder geschlossen: Burn-Out als ein Skandalisierungs- und Bereicherungsprodukt für Medien-, Freizeit-, Pharma- und Coachingindustrie? Wurden die Kapitalismusgegner und Gesellschaftskritiker erneut getäuscht? Und woran leidet dann überhaupt die Gesellschaft oder das Individuum? Einfach nur an den bekannten Nebenwirkungen des Wohlstands, wie Müdigkeit, Depression, Aggression, Lethargie? Oder ist die Beobachtung neu, weil diese Erscheinungen in einem reichen (wenn auch ungleich verteilten) Industriestaat immer noch bestehen?

Was ist krank und was ist noch normal?

Vielleicht müsste man wieder darüber nachdenken, wieviel Krankheit normal ist und wieviel Normalität krank macht? Manfred Lütz‘ Antwort darauf ist zunächst einleuchtend: Ob jemand leidet, ist das Entscheidende, ob er in seiner Kommunikationsfähigkeit gestört ist. Wer kommunikationsfähig ist, d.h. wer zuhören kann, wer erziehen kann, wer zahlen kann, der kann dann nicht (zumindest nicht sozial sichtbar) chronisch krank sein. Wer wirklich psychisch krank ist, kann dann auch nicht mehr ausgebrannt sein. Symptomatisch sind Burn-Out-Erscheinungen deshalb von psychischen Erkrankungen (insbesondere von diversen Depressionsformen) zu unterscheiden.

Wer kommunikationsfähig ist, ist dagegen protestfähig. Aufsehen und Aufmerksamkeit erlangen nicht die wirklich armen, kranken und erschöpften (oder kränkeren, ärmeren oder ausgebrannteren). Ihnen fehlt schier die Zeit, das Geld und die Kraft sich gegen sich selbst oder eine Gesellschaft aufzulehnen. Aber soll man denn so lange warten, bis man arm und krank ist, könnten Zyniker entgegnen. Im Gegensatz zu reproduzierten Ungleichheiten und chronischen Krankheiten, scheint ein Arbeits-Blues behandelbar. Die eigenen Anpassungs- und Änderungsmöglichkeiten sind erloschen, können aber wieder mobilisiert werden.

Zwischen Psychologisierung, Philosophierung und Politisierung

Auch die Wissenschaft trägt in dem genannten Konsumkreislauf regelmäßig zur Besetzung neuer Kampfbegriffe, alter Wertedebatten und noch älterer Moralpredigten bei: Entscheidungsgesellschaft, (Welt-)Risikogesellschaft und neuerdings die Yes-We-Can-Gesellschaft sind populäre Zeitdiagnosen, mit denen sich eine ganze Nation auf ein Zentralphänomen reduzieren und stigmatisieren lässt. Zeitdiagnosen als Sündenbock sind einfach und wirken deshalb kognitiv entlastend. Sie machen die Komplexität der Welt verarbeitbar, indem sie Vorurteile bestätigen – Mustererkennung nach dem Schubladenprinzip oder smarter à la Google Goggles. Das ist praktisch, aber erklärend oder instruktiv ist dieses Vorgehen für den Einzelnen nicht. Eigentlich gegenläufige Muster und Mode-Erscheinungen wie die Erlebnis-, Spaß-, oder Ich-Gesellschaft liegen für kurze Zeit unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle, so als ob es nur einen einzigen gesellschaftlichen Trend gäbe und keine Arbeitsformen, die nicht selbst (wenn auch individuell unterschiedlich) motivierend, sinn- und identitässtiftend sein könnten?

Tiefergrabende philosophische Erklärungen und Wortschöpfungen versuchen dann die widersprüchlichen Tendenzen zwischen Ego-Taktikern und Hyper-Arbeitsgesellschaft in einen Zusammenhang zu bringen: Problematisch werde es, wenn Menschen in der Sucht nach beruflicher Anerkennung die Selbstausbeutung mit Genuss verwechseln – und als Folge davon wirklichen Genuss gar nicht mehr empfinden können, so die Philosophin Svenja Flaßpöhler im Deutschlandfunk-Gespräch über ihr Buch Wir Genussarbeiter: Über Freiheit und Zwang in der Leistungsgesellschaft.

Plädoyer für eine dritte Betrachtungsebene

Ohne weder den Einzelfall noch die Gesellschaft als Ganze beurteilen zu können, ist aus soziologischer Sicht die Einbeziehung einer dritten Ebene – neben Individuum und Gesellschaft hilfreich. Diese mag zwar kompliziert erscheinen, aber vielleicht erklärt sie gerade auch deshalb die genannte Popularität und Dominanz bisheriger Zugänge zum Phänomen.

Wenn derzeit über Burn-Out gesprochen wird, dann vermengen sich Namen öffentlicher Protagonisten mit den Zahlen und Werten ganzer Berufsfelder. Aber das Medienleben von Leistungssportlern, Managern und Prominenten hat wenig gemeinsam mit dem Arbeitsalltag von Krankenhaus-ÄrztInnen, LehrerInnen oder SupermarktverkäuferInnen. Die Frage muss gestellt werden: Wären die körperlichen und seelischen Veränderungen auch ohne die Anstellung in jener Organisation bzw. in jenem Unternehmen auffällig und problematisch geworden? Die Maslowsche Bedürfnispyramide ist in konsumverwöhnten Industriegesellschaften auf den Kopf gestellt. Soziale Anerkennung ist aber kein neuer Gesellschaftstrend und auch keine anthropologische Konstante, sondern erst in und durch das Aufkommen von unterschiedlichen Rollen und Organisationen möglich.

Das System der Arbeit heißt Organisation

Im Gegensatz zur Gesellschaft haben Organisationen eine Adresse. Freiheit und Zwang sind abstrakte Begriffe, aber der Arbeitgeber A, die Bank B, die Consulting C oder der Discounter D sind es nicht. Der Blick auf diese Ebene kann aufzeigen, dass Gewalt in der Gesellschaft nicht beim Kannibalismus beginnen oder beim Faschismus aufhören muss. Gewalt in Organisationen ist meist subtiler und nimmt andere Formen an: Kopf- und Bauchschmerzen, Gewichtsverlust, Angstzustände, Schweißausbrüche und Schlafstörungen sind nicht leicht zurechenbar und nicht immer sichtbar, aber gerade deshalb auch schwer vergleichbar.

Die einfache Skandalisierung des Einzelnen oder die Verteufelung der Gesellschaft verdecken jedoch den Blick auf interne Konflikte, insbesondere in den jeweiligen Organisationen. Ohne diese im Vorfeld benennen oder erkennen zu können, hat man ihre Duldung aber selbst mit seiner Unterschrift zugestimmt. Die Einstellungs- und Arbeitsbedingungen bestimmter Organisationen lassen sich weniger als rein verschwörerische Ausbeutungsmaschinerie noch als plötzliche Pathologie erklären. Zumindest in Deutschland besteht ein Grundrecht auf freie Berufswahl (GG Art. 12). Ein soziales Recht auf Arbeit ist dagegen nicht einklagbar. Der Eintritt in Organisationen ist damit auf beiden Seiten – für Arbeitgeber und Arbeitnehmer – freiwillig. Eine offene Rebellion in Organisationen ist aufgrund eben dieser Freiwilligkeit des Eintritts/Austritts auch schwer vermittelbar und verständlich.

Ausweitung der Zumutbarkeitszone

Der Eintritt in eine Organisation vollzieht sich durch die Unterschrift eines Arbeitsvertrages. Im Vertrag selbst steht nichts von Ausbeutung, von immenser Arbeitsbelastung am Jahresende, von Extraaufgaben bei Einstellungsstop, den Bedingungen für eine Beförderung oder für eine Gehaltserhöhung. Der Vertrag formuliert keinen eindeutigen Anforderungskatalog. Wenn jeder Handgriff, jede Aufgabe und jedes Projekt im Voraus prognostizierbar oder programmierbar wären, würden Vertragstexte ins Unendliche ausufern. Im Gegensatz zur Projektarbeit auf Honorarbasis, erkauft die Organisation mit einem Arbeitsvertrag damit eine größtenteils unspezifische Leistungsbereitschaft.

In diesem Sinne enthält der Arbeitsvertrag einen Blankoscheck für die Akzeptanz fremder (noch zu bestimmender) Entscheidungen. Für die Organisation ist dieser Vertrauensvorschuss funktional, denn Vorgesetzte müssen ihren MitarbeiterInnen nicht ständig zu unwahrscheinlichem Verhalten motivieren oder ihnen Befehle erteilen, sondern können flexible Sachentscheidungen fällen. Als Organisationsmitglied antizipiert man selbst, was in seinem Anforderungs- und Zumutbarkeitsbereich liegt und welche Informationen man wie und wann zu bearbeiten hat, ohne dass der Chef ständig auf die Finger guckt oder klatscht.

Ungebremste Latenz wechselseitiger Fremd- und Selbsterwartung

Der US-amerikanische Management-Theoretiker Chester Barnard bezeichnet diesen Grad an schwer verweigerbaren und vorauseilenden Generalgehorsam als Indifferenzzone. Er benennt damit jene Erwartungen, denen sich die Mitglieder der Organisation indifferent bzw. unkritisch gegenüber verhalten (müssen), wenn sie nicht die Kündigung riskieren oder befördert werden wollen. Eine möglichst große Indifferenzzone erlaubt der Organisation eine breite Anpassung an neue Veränderungen in der Umwelt und damit verbundene Unsicherheiten. Aus welcher genauen Selbstmotivation sich diese Indifferenz speist, kann weder eindeutig geklärt noch gesteuert werden. Möglichkeiten sie auszuweiten gibt es viele.

Was von der klassischen Managementlehre oft übersehen wird, ist, dass man mit der generalisierten Mitgliedschaftsentscheidung und Vertragsunterschrift nicht nur die Erwartungen des Vorgesetzten, sondern auch die der anderen Mitglieder pauschal, wie in Form eines Blankochecks, zugestimmt hat. Solange die damit verbundenen Erwartungen keinen offenen Widerspruch gegen die Vertragsregeln beinhalten, hat man sich ihnen zu fügen. Neben den unterschiedlichen Hierarchieebenen sind es zudem auch sogenannte informelle Regeln – die bekannten ungeschriebenen Gesetze – die einem das Leben in einer Organisation schwer machen können. Wenn diese formalen und informalen Erwartungslasten unerträglich werden und sich eine immer tieferziehende Spirale aus eigenen und fremden Verhalten- und Einflussserwartungen bildet, sollte man die Organisation schleunigst wechseln – und zwar bevor man Lust, Laune und Leistungsvermögen verliert. Gerade weil der Zumutbarkeitsbereich oft unbestimmt und latent bleibt – und deshalb schwer in jeder formalen wie informalen Situation explizit ausgehandelt werden kann – besteht die Möglichkeit, die selbsterlegten Fesseln auch wieder zu sprengen. Neben Voice und Loyality, gibt es die scheinbar unterschätzte Option des Exit. Ein Organisationswechsel muss dabei nicht immer eine schlechtere Alternative sein, denn oft sind die vermeintlichen Verlierer und Aussteiger von heute die Einsteiger und Gewinner von morgen, die sich aus einem selbst- und fremdverschuldeten Burn-Out befreien. Zu diesen stillen oder lauten Organisationswechslern müssen nicht nur bekannte Unternehmer, Schriftsteller und Künstler gehören. Es gibt viele Steve Jobs auf der Welt.

 

Zum Weiterlesen

Barnard, Chester I. 1938: The Functions of the Executive. Cambridge MA: Harvard University Press.

Hirschman, Albert O. 1970: Exit, Voice and Loyalty. Responses to Decline in Firms, Organizations and States. Cambridge MA: Harvard University Press.

Luhmann, Niklas 1995: Funktionen und Folgen formaler Organisation. 4. Aufl. Berlin: Duncker & Humblot.

6 Kommentare

  1. Max Reinholz sagt:

    Sie identifizieren das Organisationale als dritte Perspektive, die sich neben Individuum und Gesellschaft öffnet, wenn das Wohlergehen von arbeitenden Menschen erklärt werden soll.
    Da stimme ich Ihnen unumwunden zu. Doch der Betrachtungswinkel ist reduziert auf den von „Erwartungslast“ Beschwerten. Die Wahlmöglichkeiten aus dieser Sicht ist Ertragen, resp. Erkranken und die klassische Freiheit des Marktes, als da wären Widerspruch oder Abwanderung. Sie empfehlen Letzteres. Die Folge ist die Verschärfung der Diffusion innerhalb des Konstruktes Arbeit. Das, woran es den allermeisten Beschwerten mangelt, die Sicherheit geht weiter verloren. Den schon in der Arbeit 2.0 Etablierten dagegen, muss der Tipp gar nicht erst gegeben werden, weil diese über die Opportunitäten Bescheid wissen und sie in der Regel gut vernetzt zu nutzen wissen.
    Doch der Gedanken, den ich beitragen möchte, ist, dass es den Organisationen, in denen Menschen beschwert sind, nachhaltig am Erfolg mangelt. Egal, ob der arbeitende Mensch krank arbeitet, oder kündigt, gute Arbeit ist so nicht zu organisieren und neue Menschen zu finden ist teuer und schwer. Bliebe der Widerspruch, dem eine Plattform geschaffen werden müsste, um eine positive Veränderung der Position von Mensch wie Organisation zu bewirken.
    Die Frage ist, wie kann Arbeit so organisiert werden, dass der arbeitende Mensch und die ihn beschäftigende Organisation jeweils einen Erfolg verbuchen kann. Die aktuelle Diskussion um Burn-out in jeder möglichen Form scheint mir Anlass und Chance genug, um der im Organisationalen angesiedelten richtigen Analyse auch die richtigen operativen Veränderungen folgen zu lassen.
    In diese Richtung forsche ich mit den Kollegen im iaw-Köln und freue mich über fruchtbaren Austausch mit verwandten Geistern.

  2. Vielen Dank für Ihren Beitrag, der interessante Fragen aufwirft.

    Der Artikel war provokant formuliert, indem er für ein „Exit“ von zu hoch erwartungsbelasteten ArbeitnehmerInnen plädiert. Die Option eines „Voice“ zur Reprogrammierung von Organisationsstrukturen besteht jedoch ungenommen. Wie sie begründet anmerken, mögen beide Möglichkeiten – der Austritt und der Aufschrei – gerade bei erschöpften ArbeitnehmerInnen eher unwahrscheinlich sein. Als Folge des Austritts nennen Sie „die Verschärfung der Diffusion innerhalb des Konstruktes Arbeit“. Wenn ich Sie richtig verstehe, meinen Sie damit so etwas wie „Arbeitsplatzsicherheit“? Ihrer oben genannten Einschätzung könnte man zunächst zustimmen, indem man überspitzt formuliert: Einem Herrn Dr. Winterkorn wird der Jobwechsel nicht nur aus finanziellen Gründen leichter fallen als den ArbeitnehmerInnen bei Schlecker.

    Aber auch wenn Qualifikation, Herkunft und Einkommen bestimmt nicht zu vernachlässigen sind, kann man als Bürger eines Wohlfahrtsstaats (zumindest sehen), dass in jeder Krise auch eine Chance bestehen kann. Der Artikel sollte bekunden, dass „Exit“ – unabhängig vom Stelleninhaber, der Konjunktur oder dem Standort des Unternehmens – zumindest eine theoretische Option ist. Empirisch müsste dies überprüft werden. Eine Gegenthese wäre dann, dass gerade mit steigender Qualifikation und finanziellem Rückhalt, die Fluktuation sinkt. Dabei könnte man bestimmt auch auf Fälle treffen, bei denen „Exit“ nicht die Lösung, sondern zum Problem von zu vielen Arbeitsplatzwechseln werden kann und deshalb wiederum in Zusammenhang mit Burn-Out ähnlichen Symptomen stehen mag.

    Auch zu ihrem zweiten Argument kann ich leider keine eindeutige Antwort geben; sie wirft ebenso wichtige Fragen auf. Zunächst scheint es einleichtend: Eine Organisation, die ihr Geschäft allein auf Fremd- bzw. Selbstausbeutung Ihrer Mitglieder aufbaut, sollte oder müsste langfristig wenig Erfolg haben. Aber wenn dem keine rechtlichen Grenzen gesetzt sind, kann man in der Geschichte, an zeitgenössischen Skandalen in Europa oder in exterritorialen Zonen sehen, dass auch dies der Fall sein kann. Und im Zuge internationaler Organisationsverflechtungen kann der Erfolg europäischer oder US-amerikanischer Firmen dann auch im Zusammenhang mit der Ausbeutung „woanders“ stehen, wo „Exit“ empirisch betrachtet noch weniger eine Option darstellen dürfte.

    Ihrem letzten Punkt widmet sich vermutlich die sogenannte „personality-job-fit“-Forschung, in der psychologische Ansätze dominieren. Einer Steuerung oder Planbarkeit der „richtigen operativen Änderungen“ zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage – um es ökonomisch zu formulieren – sehe ich leider skeptisch gegenüber. Denn: Organisationssoziologisch betrachtet, würde eine Kopplung zwischen den Zwecken einer Organisation und der Motivation der Mitglieder (sei es Einkommen, Karriere und/oder die Identifikation mit dem Organisationszweck) nur wenig flexibel auf sich verändernde Umwelten reagieren können (Luhmann, N. 1964: Funktionen und Folgen formaler Organisation, S. 89ff). Mit anderen Worten: Wie bei Kunden auch, können (bzw. müssen) sich Wünsche der MitarbeiterInnen ändern (können). Dieselbe Person kann sogar unterschiedliche bzw. widersprüchliche Präferenzen haben – ohne dass sie sich dessen stets bewusst ist. Auch Kundenwünsche müssen sich nicht immer mit denen der MitarbeiterInnen decken. Organisationen stehen deshalb täglich vor dem Dilemma zu entscheiden, welche Erwartungen sie bedienen sollen: Die der unterschiedlichen KundInnen oder die der unterschiedlichen MitarbeiterInnen? Gleichzeitig müssen sie Geschäft und Gesetze beachten.

  3. […] dem Exit aus der verhassten Branche und der beruflichen Stagnation folgt nicht selten auch die Depression in […]

  4. […] Schwarting, Rena (2011): Burn-Out-Diagnosen zwischen Fremd- und Selbstausbeutung. Ein Plädoyer für eine dritte Beobachtungsebene und einen ersten Ausweg. In: Sozialtheoristen 2011 (12). URL: http://sozialtheoristen.de/?p=2770. […]

  5. […] werden kann. In der Tendenz stellt sich dann eine „Selbstausbeutung“ bzw. die Gefahr des „Burn-Out“ ein (vgl. Schwarting […]

  6. […] werden kann. In der Tendenz stellt sich dann eine „Selbstausbeutung“ bzw. die Gefahr des „Burn-Out“ ein (vgl. Schwarting […]

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