Bilanzfälschung. Zur übersehenen Normalität des Falles Wirecard

Bilanzskandale beschädigen das Vertrauen in das Management von Unternehmen. Auch nur vage Andeutungen einer „Enronitis“ – die nach dem spektakulär gescheiterten US-Energiekonzern benannte Tendenz von Unternehmen, ihre Zahlen besser dazustellen, als sie wirklich sind – versetzen Börsenaufsicht, Wirtschaftsprüfer und Unternehmensmanagement in wilde Hektik.[1] Manager, die ihr Zahlenwerk zu sehr manipuliert haben, werden medienwirksam in Handschellen dem Untersuchungsrichter vorgeführt. Wirtschaftsprüfer geloben, Abbitte für ihre fehlende Aufmerksamkeit in der Vergangenheit zu leisten, und verschärfen ihre Qualitätssicherung. Die Börsenaufsicht erfindet eine Reihe neuer Regeln, um den verängstigten Kapitalanlegern zu signalisieren, dass man alles tut, um das Problem einer allzu fantasievollen Bilanzführung und -prüfung in den Griff zu bekommen.

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Zwischen Adenauer und Apokalypse: Böse Kinderspiele im Darkroom der Altrepublik

An BRD Noir haben sich schon so manche versucht: Bierernste Langeweile vorprogrammiert. Netflix aber bietet mit seiner „Dark“-Trilogie ein deutsch-dämmriges Horrormärchen. Für den Sender wurde der Stoff zum Welterfolg. Und das wie aus dem amerikanischen Bilderbuch. So schafft es die Serie auf „Twin Peaks“-Level. Nun ist Schlussrunde. Schade drum. Und doch nötig.

Was ist denn hier passiert! Der deutsche Wald am helllichten Tag. Gleich wird man den Augen nicht trauen. Oder eher dem, was davon übrig ist. Bild: Netflix.

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Bullshit – Warum es hilfreich sein kann, manchmal nicht auf den Punkt zu kommen

Das Spielen von Bullshit-Bingo hat sich zu einer Strategie von Mitarbeitern entwickelt, Sitzungen mit allzu vielen Plattitüden ihrer Vorgesetzen zu überleben. Vor Beginn eines Meetings erstellt man eine Liste mit den gerade in der Organisation besonders populären Begriffen und ordnet Sie in einem 5 x 5 Schemata an – Wertschätzung, Synergie, Proaktiv, Mindset, Nachhaltigkeit, Innovation, Integrität, Exzellenz, Effektivität, Disruption und Agilität werden vermutlich häufig zu den Favoriten gehören. Immer, wenn in der Sitzung einer dieser Begriffe fällt, streicht man diesen weg. Wer zuerst horizontal, vertikal oder diagonal fünf Worte in einer Reihe durchgestrichen hat, ruft laut (oder vielleicht auch besser leise) Bingo und hat gewonnen.

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Selbstdarstellung: Übers Bluffen und Blenden während der Promotion

Eine gut temperierte Selbstdarstellung ist überlebenswichtig für eine erfolgreiche Promotion. Überzieht man die Selbstdarstellung allerdings, bringt das Nachteile mit sich.*

Graduation by Andrew Schwegler (CC BY-SA 2.0)

 

In einer ähnlichen Weise hat der eine oder die andere die folgende Szene bestimmt selbst schon einmal erlebt: In einem Workshop oder einem Kolloquium wird ein theoretischer Aspekt diskutiert. Alle Beteiligten, die mitdiskutieren, tun so, als wüssten sie, was das Konzept impliziert, werfen selbstsicher mit Begriffen um sich. Die Diskussion trägt sich fort. Einige folgen dem Pingpong der Argumente ehrfürchtig und wundern sich, warum sie all das nicht wissen. Ringt sich dann jemand dazu durch, seine oder ihre Unwissenheit zu entblößen und nach der Bedeutung eines Begriffs oder Konzepts zu fragen, wird deutlich, dass bei den Beteiligten weitaus weniger Klarheit darüber herrscht, worüber sie gerade diskutiert haben. Erst die mutige Nachfrage offenbart, dass der Austausch – zumindest im Falle einiger – vom sich gegenseitig Blenden getragen wurde.

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Über die nützliche Filterwirkung internetbasierter Interaktionen. Zum Unterschied von Interaktion unter Anwesenden und unter Abwesenden

Die Ersetzung der Präsenzlehre durch Fernunterricht aufgrund der Corona-Pandemie hat unter Lehrenden zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen geführt. Für die einen stellt die kurzfristige Umstellung auf die Fernlehre eine Zumutung dar, weil weder die technischen noch didaktischen Voraussetzungen dafür beständen. Einzige Konsequenz könne, so die Schlussfolgerung, die staatliche Verordnung eines „Nichtsemesters“ sein, in dem Dozenten und Studierende vom Druck des Lehrens und Lernens befreit werden.[1] Andere sehen im erzwungenen Ausfallen der Präsenzlehren die Möglichkeit, der webbasierten Lehre einen entscheidenden Schub zu versetzten. Teilweise herrscht bei technikaffinen Lehrenden eine wahre Euphorie, weil sie sich erhoffen, endlich die Konzepte einer internetbasierten Lehre umsetzen zu können, die durch das bisher übliche routinemäßige Abspielen von zweistündigen Präsenzveranstaltungen blockiert worden ist.

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Quantum Sociology

Quantum Mechanics and Everyday Life 

Die Quantenphysik fasziniert, seitdem sie sich um die Wende des letzten Jahrhunderts entwickelt hat, seit Max Planck’s Entdeckung 1900, den Solvay Konferenzen (insbesondere 1927) und den vielfältigen Diskussionen zwischen Niels Bohr, Max Born, Werner Heisenberg, Wolfgang E. Pauli, Louis de Broglie, Paul Dirac, Albert Einstein, Erwin Schrödinger und weiteren. Zu den Greatest Hits der Quantenphysik zählen jene kontraintuitiven Prinzipien der Komplementarität und Unsicherheit, des Entanglements (Quantenverschränkung) und Tunnelings, der Superposition und Wellenfunktion. Auch wenn die Diskussionen über die philosophischen Bedeutungen dieser Fundamente der Quantenmechanik bisher wenig Einstimmigkeit erzeugt haben (Schlosshauer, Kofler, Zeilinger 2013), kann mathematisch und experimentell gezeigt werden, dass Quanten in Form von Atomen, Photonen und Elektronen bis zum Punkt des Kollapses, der Messung als Wellen und als Partikel ‚existieren’, dass ihre Position und ihr Bewegungszustand nicht gleichzeitig gemessen werden können, dass sie nicht-lokal und über größere Distanzen hinweg korrelieren, dass sie durch nichtdurchlässige Grenzen passieren können und sicherlich auch, dass Schrödingers Katze potenziell gleichzeitig lebendig und tot ist, bis die Box geöffnet und hineingesehen wird (Baumann, Sexl 1984, Auletta 2001, Czasny 2010, Kiefer 2011, Osterhage 2014).

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Was bleibt, ist der Supermarkt

Seit mehr als einem halben Jahrhundert erfreuen uns volle Regale und möglichst kurze Warteschlangen. An jeder Straßenecke lauern die Einkaufstempel. Doch ausgerechnet als soziale Räume entdecken wir sie gerade nochmal neu. Eine kleine Kulturgeschichte des Selbstbedienungskonsums.

S O Z I A L T H E O R I S T E N  
S P E Z I A L   C O R O N A – K R I S E
Vor Ostern nochmal Haushaltsnachschub am laufenden Band. Marktszene aus den Jahr 1964.

Vor Ostern nochmal Haushaltsnachschub am laufenden Band. Offensichtlich geschmackvolle Marktszene aus dem Jahr 1964. Bild: Gemeinfrei/CC BY-NC-SA 2.0.

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Krisen – Der Umgang von Organisationen mit Kriegen, Hungersnöten und Pandemien

Krisen gehören für Organisationen vielleicht nicht zum Alltag, kommen aber immer wieder vor. Absatzmärkte brechen plötzlich weg, weil ein Produkt nicht mehr gefragt ist, und führen in Unternehmen zu Liquiditätsproblemen. Relevante Mitarbeiter verlassen gleichzeitig ein Forschungsinstitut und hinterlassen dadurch riesige Kompetenzlücken. Das gerichtliche Verbot eines Prestigevorhabens im Bereich der Verkehrspolitik wirft nicht nur die Frage an die Fähigkeiten eines Ministers auf, sondern hinterfragt auch die Qualität des ihm zuarbeitenden Ministeriums.

Diese Krisen können in einigen Fällen zwar aufgefangen werden, in anderen können solche Umstände aber sogar zum Scheitern der Organisation führen. Ein solches Versagen ist in der modernen Gesellschaft der Normalfall. Unternehmen kommen und verschwinden, Forschungsinstitute werden gegründet und wieder aufgelöst, Ministerien gebildet und bei Bedarf auch wieder umgestaltet. Für die Mitarbeiter mag das Verschwinden einer Organisation ein einschneidendes Erlebnis sein, die Effekte für die Gesellschaft sind allerdings minimal, weil andere Organisationen an die freigewordenen Stellen treten.

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Slack – Vom Nutzen und Schaden von Fettpolstern

Sehr häufig bilden Organisationen überschüssige Reserven – organisatorische Fettpol­ster oder auch „Slack“ – aus, die nicht dem eigentlichen Arbeitszweck dienen und aktuell nicht von der Organisation nachgefragt werden: Eine Armee hält sich Ersatzteile für Panzer auch dann vorrätig, wenn kein militärischer Konflikt bevorsteht. An zentralen Bahnhöfen unterhalten halten staatliche Verkehrsbetriebe Pools von Technikern, die komplizierte Fehlerquellen beseitigen können, auch wenn deren Qualifikationen nur selten nachgefragt wird. Ein Landkreis erklärt sich bereit Krankenhausbetten zu finanzieren, die nicht permanent gebraucht werden, um auf eine Katastrophe oder eine Pandemie eingestellt zu sein.[1]

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Weihnachten in Deutschland – ein Interview

Welche soziale Bedeutung hat heute noch Weihnachten? Ein Interview der Northern Business School Hamburg mit dem Sozialforscher und Research Fellow Marcel Schütz über saisonale Erwartungen, Zeitvergessen und ein paar vorsichtige Ratschläge für ein möglichst krisenfreies Familienfest. – Kleine Weihnachtssoziologie. 

Der NBS Research Fellow Marcel Schütz arbeitet zu den Themen Organisation und Gesellschaftstheorie. Bild: Kevin Knoche/Text: NBS Hamburg

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Integration statt Revolution: Twitter ist auch nicht die Welt

Proteste in den sozialen Medien minimieren nicht die Demonstrationen auf der Straße. Im Gegenteil: analoge und digitale Protestformen weisen vielfältige Verschränkungen auf, wie der Stuttgarter Soziologe Ulrich Dolata in der Zeitschrift für Soziologie berichtet. 

Protestbewegungen wie jene für mehr Demokratie werden oft im Netz angestoßen und manifestieren sich auf den Straßen. Bild: afp/Frankfurter Rundschau

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Was (Hochschul-)Ratgeber verschweigen

Die Nachfrage nach Ratgebern scheint mit Zunahme von gesellschaftlicher Komplexität zu wachsen. Es gibt sie mittlerweile zu allen erdenklichen Themen. Und so gibt es auch diverse Ratgeber für den Hochschulbereich. Allerdings sind die Hinweise und Tipps – mit wenigen Ausnahmen – recht oberflächlich. Der Grund dafür ist einfach: Sie unterschlagen die für den organisationalen Alltag so wichtige informale Seite der Organisation. Und wird Informalität doch mal behandelt, fällt dies irritierend auf.

Auf viele Fragen auf die es im Organisationsalltag ankommt, geben Ratgeber nur einseitige Antworten. Bild: pixabay (geralt)

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